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Der Experte: Thriller (German Edition)

Der Experte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Experte: Thriller (German Edition)
Autoren: Mark Allen Smith
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die Realität nicht heran.
    Ein vertrautes dröhnendes Brummen ließ ihn aufblicken. Eine sehr große Hornisse, fünf Zentimeter lang, hatte sich durch das Loch im Fenstergitter einen Weg ins Zimmer gebahnt, und jetzt setzte sie sich auf die weiße Pfirsichscheibe, die er als Köder auf dem Fensterbrett platziert hatte.
    Er legte das Skalpell auf den Tisch und ging zum Fenster. Er konnte das graue, schuppige Nest sehen, das größer als ein Medizinball war und draußen an der Unterseite der Dachtraufe hing, neben dem angebauten Schuppen, in dem das staubige Auto stand. Die Besuche der Insekten waren zu einem nützlichen Element seines Trainings geworden.
    Als die Hornisse von dem Pfirsich kostete, senkte er die Hand, nahm vorsichtig die hauchdünnen Flügel zwischen die Spitzen seines Daumens und Zeigefingers und hob das sich wehrende, laut summende Geschöpf hoch. Im Laufe der Zeit war speziell diese Bewegung der Neuausbildung seiner Feinmotorik und seiner Auge-Hand-Koordination sehr förderlich gewesen.
    In der Regel nahm er nun den dicken, gestreiften Unterleib der Hornisse zwischen zwei Fingerspitzen und drückte langsam zu, bis er platzte. Auf diese Weise erlangte er ein Gefühl für den ausgeübten Druck, das wiederherzustellen sich als recht schwer erwiesen hatte. Er hatte an Weinbeeren geübt, bis die erste Hornisse ins Zimmer flog und er entdeckte, dass belebtes Fleisch, das für seine Berührung empfindlich war und darauf reagierte, sich erheblich besser eignete als das Obst. Daher stellte er immer eine Untertasse mit einer Pfirsichscheibe auf die Fensterbank. Seit Monaten fand die Putzfrau jedes Mal, wenn sie kam, einen Haufen verschrumpelter kleiner Kadaver auf dem Fußboden.
    Er sah zu, wie das Tier zuckte. Die Energie der Hornisse war unermüdlich. Wieder hörte er das feuchte Stöhnen. Es war Zeit. Zeit, neu zu beginnen. Er drehte sich um und ging durch den Raum. Die Zielperson saß auf einem hochlehnigen Stuhl, bedeckt mit einem weiten blauen OP-Kittel, der dem Körper jede Form nahm. Eine grob zugeschnittene Kapuze aus dem gleichen Material umhüllte den Kopf. Sie hatte Löcher für die Augen und den mit schwarzem Klebeband verschlossenen Mund. Plastikschnallen fesselten den Körper an Hals, Handgelenken, Taille und Fußknöcheln an den Stuhl.
    Er beugte sich zu dem Gesicht vor und runzelte die Stirn. In dem Blick dieser Augen lag nicht genug Furcht. Er hob das lärmende, zappelnde Insekt. »Riesig, nicht wahr?«
    Die Lider der Augen in der Kapuze hoben sich, die Pupillen wurden weiter.
    »Durch meine Ausflüge auf Google habe ich erfahren, dass es vermutlich eine Vespa mandarinia ist – die Asiatische Riesenhornisse. Sie ist die giftigste Art. Wie es heißt, kann ein Schwarmangriff einen Menschen in Minutenschnelle töten … durch einen anaphylaktischen Schock. Doch wenn Sie mich fragen, wie sie hierherkommt, muss ich passen.«
    Er hob den Zeigefinger der freien Hand. »Passen Sie auf«, sagte er, führte den Finger an das zuckende Abdomen der Hornisse und stieß gegen die Unterseite. Augenblicklich krümmte sich das Ende des Unterleibs nach unten und innen, und der sechs Millimeter lange Stachel fuhr heraus und bohrte sich in den Finger. Er zeigte keine Reaktion – er zuckte weder zurück, noch verzog er eine Miene.
    Sein Zuschauer hob verwirrt die rechte Braue.
    »Der interessanteste Unterschied zwischen den Wespen, zu denen die Hornissen gehören, und den Bienen besteht darin, dass Bienen nur einmal zustechen können. Ihre Stacheln haben Widerhaken, verfangen sich im Fleisch und werden ausgerissen – die Biene stirbt daran. Hornissen haben jedoch widerhakenfreie Stacheln. Sie können immer wieder zustechen.« Mit der Fingerspitze drückte er gegen den Bauch des Insekts, und es stach ihn erneut. »Sehen Sie?« Er zog den unteren Rand der Kapuze am Hals ein Stück weit hoch. »Wir wollen Sie ein wenig lockern. Bauen wir ein wenig Adrenalin ab.« Er beobachtete, wie der Adamsapfel beim Schlucken auf und ab hüpfte, dann ließ er die Hornisse unter der Kapuze frei. »Sie sind nicht besonders aggressiv, solange man sie nicht reizt, aber Sie täten gut daran, sich nicht zu bewegen.«
    Das hässliche Summen hörte plötzlich auf. Dank der Größe der Hornisse war deutlich zu sehen, wie sie unter dem Stoff die Wange entlangkrabbelte. Die Augen unter der Kapuze stierten starr nach vorn, ohne zu blinzeln, aber auch ohne etwas zu sehen. Sie ließen an jemanden denken, der vergebens versuchte, sich
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