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Der Experte: Thriller (German Edition)

Der Experte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Experte: Thriller (German Edition)
Autoren: Mark Allen Smith
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an einen Namen oder an das Datum eines bevorstehenden Termins zu erinnern. Dann schlossen die Lider sich langsam und bebten, und die Hornisse kroch über das linke Auge und strebte weiter nach oben.
    Vor dem Fenster stand der wilde Lavendel in Blüte, ein wogendes Purpurmeer. Eine plötzliche Bewegung dort veranlasste den Mann, von seinem Gefangenen aufzublicken, und er sah Dutzende von Schlangen mit strahlenden, irisierenden Schuppen, die in eleganten, abgefederten Bögen aus dem Gebüsch sprangen und einander mit opalenen Zähnen, die bald rot glänzten, gierig verspeisten. Er beobachtete den Kampf, bis eine einzige Kreatur blutbefleckt und siegreich übrig blieb und sich ihm mit neugierigem Blick zuwandte.
    »So ist es gut«, sagte er. »Komm zu Papa.«
    Das Ungeheuer glitt auf ihn zu, und er schloss die Augen. Er hatte gelernt, mit den Erscheinungen umzugehen. Er besaß keine Kontrolle über ihr Auftreten, aber er hatte festgestellt, dass die Halluzinationen vergingen, wenn er die Augen fest zukniff. Soweit er wusste, handelte es sich um bildliche Manifestationen einer Art Wahnsinn.
    Für ihn war die Psychopathie das Ergebnis einer bemerkenswerten katalytischen Reaktion, der graduellen Umwandlung von Qual und Leid in eine neue chemische Verbindung, die nun seinem Gehirn innewohnte wie jede andere Komponente seiner psychologischen Zusammensetzung – etwa Wonne, Angst oder Wut –, und während sie Adrenalin oder Serotonin oder Neutrophine freisetzten, löste die neue Substanz die Erscheinungen aus.
    Davon hatte er viele gehabt. Er hatte gesehen, wie der Klinikkatze Stahlstacheln aus dem Fell wuchsen; er hatte beobachtet, wie Dr. Lings Gesicht zerbarst, während er über synthetische Polymere sprach; er hatte in dem geschmolzenen Gruyère auf seiner Zwiebelsuppe gestochert und in der Brühe umherflitzende neonfarbene Salmler entdeckt; er hatte einen Engel aus dem Himmel stürzen sehen, dessen Schwingen brannten und einen Rauchschweif hinter ihm zurückließen. Das war das Zeichen gewesen, dass seine Intuition keiner Wahnvorstellung entsprang und seine Nemesis trotz aller Berichte noch lebte – und dass er, sobald sie wieder aufeinandertrafen, für seine extremen Entscheidungen belohnt wurde.
    Daran glaubte er fest, weil der fallende Engel Geigers Gesicht gehabt hatte.
    Geiger.
    Er öffnete die Augen, hob die glatten, haarlosen Hände vors Gesicht, und in seinem Kopf wiederholten sich die Ereignisse des 4. Juli. Sie waren weniger Erinnerung als vielmehr ein stets präsenter Teil seines Bewusstseins – diese Stunden, die in exquisiten Einzelheiten vor seinen Augen vorbeizogen:
    Halls Anruf … Der Anstieg seines Pulses, als er erfuhr, dass er an Geiger arbeiten sollte, von allen Menschen ausgerechnet an Geiger – der Legende, dem Meister ihrer Kunst, dem Mann, den man den Inquisitor nannte …
    Die Sitzung in Geigers eigenem Raum … Ihn an den Rasiersessel zu fesseln, ihm die einzige Frage zu stellen, die Hall ihm mitgeteilt hatte: »Wo ist der Junge?« … Mit einer weißglühenden Ahle in Geigers Wange einzudringen … Ihn mit dem Baseballschläger zu bearbeiten … Ihm den vierköpfigen Schenkelstrecker zu zerschneiden … Und Geiger, wie er sich weigerte nachzugeben, wie er sich nicht erweichen ließ, einen Jungen zu verraten, den er kaum kannte, oder zu betteln oder auch nur zu schreien, als wäre er immun gegen die Schmerzen dieser Welt …
    Dann, wie Geiger angriff, wie er das Regiment übernahm und verkündete, dass sie beide das Foltern hinter sich hätten, dann das Zerschmettern seiner Finger und Mittelhandknochen, das trockene, laute Knacken der Knochen und der überwältigende, außerweltliche Schmerz …
    Geiger war zum Zentrum seines Universums geworden – die Sonne, die jeden Gedanken beherrschte, jede Entscheidung. Geiger hatte ihm einen neuen Sinn verliehen, etwas, das er noch nie empfunden hatte. Begonnen hatte es als winziger Same, der aufgegangen und zu einem Leuchtfeuer in ihm geworden war. Zuerst war es Rache gewesen – und nun war es zu etwas geworden, das darüber hinausging.
    Die Beule unter der Kapuze bewegte sich ein wenig, knapp neben dem Ohr. Er klopfte darauf, und die Hornisse summte und zuckte – und die Zielperson verkrampfte sich in ihren Fesseln, während ein halb ersticktes Knurren ihrer Kehle entstieg. Tränen liefen ihr aus den Augenwinkeln.
    »Ich habe Ihnen einige Fragen zu stellen.«
    Die Augen unter der Kapuze schlossen sich, die Wangen spannten sich
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