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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser
Autoren: Jo Nesb�
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hinten gekippt. Die Eingangshalle war nur schwach beleuchtet, doch in einem Spiegel an der Wand sah er das Licht der Türöffnung und sein eigenes, weit aufgerissenes Auge, eingerahmt in Gold. Der Tote lag auf einem dicken, burgunderfarbenen Teppich. Persisch? Vielleicht war er doch vermögend gewesen.
    Jetzt hatte er allerdings ein kleines Loch in der Stirn.
    Er sah auf und begegnete dem Blick der Frau. Wenn es denn seine Frau war. Sie stand auf der Schwelle einer anderen Tür in der Wohnung. Hinter ihr hing eine große, gelbe Reispapierlampe. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und starrte ihn an. Er nickte ihr kurz zu. Dann schloss er die Tür vorsichtig, schob die Pistole zurück ins Schulterhalfter und ging die Treppe hinunter. Er benutzte nie den Fahrstuhl, wenn er auf dem Rückzug war. Oder Leihwagen, Motorräder oder andere Dinge, die plötzlich stehen bleiben konnten. Und er rannte nicht. Verhielt sich still, denn auch seine Stimme konnte ihn verraten.
    Der Rückzug war der kritischste Teil seiner Arbeit, aber auch derjenige, den er am meisten mochte. Es war wie ein Schweben, ein traumloses Nichts.
    Die Concierge war herausgekommen. Sie stand vor der Tür ihrer Erdgeschosswohnung und sah ihn unsicher an. Er flüsterte ihr einen Abschiedsgruß zu, aber sie starrte ihm nur stumm hinterher. In einer Stunde würde die Polizei sie um eine Täterbeschreibung bitten. Und sie würde ihnen eine geben. Von einem mittelgroßen Mann durchschnittlichen Aussehens. Zwanzig Jahre alt. Oder vielleicht dreißig. Sicher nicht vierzig, glaube sie.
    Er trat auf die Straße. Paris grummelte leise, wie ein Gewitter, das nicht näher kam, aber auch kein Ende finden konnte. Er warf seine Llama MiniMax in einen Mülleimer, den er sich zuvor bereits ausgeguckt hatte. Zwei neue, noch nicht benutzte Waffen gleichen Typs warteten in Zagreb auf ihn. Er hatte Mengenrabatt bekommen.
    Als der Flughafenbus eine halbe Stunde später Porte de la Chapelle an der Autobahn zwischen Paris und dem Flughafen Charles de Gaulle passierte, war die Luft voller Schneeflocken. Sie legten sich zwischen die spärlichen, blassgelben Halme, die sich steifgefroren in den grauen Himmel reckten.
    Nachdem er eingecheckt und die Sicherheitskontrolle hinter sich gebracht hatte, ging er geradewegs auf die Toilette. Er stellte sich ganz ans Ende der Reihe der weißen Urinale, öffnete seine Hose und ließ den gelben Strahl auf die weißen WC-Steine rieseln, die am Boden des Beckens lagen. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf den süßlichen Geruch von Paradichlorbenzol und das Zitronenaroma von J&J Chemicals. Auf der blauen Linie in die Freiheit gab es jetzt nur noch eine Haltestelle. Er ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. Os-lo.

 
    KAPITEL 3
    Sonntag, 13. Dezember. Biss
     
     
    H arry saß zurückgelehnt auf seinem Stuhl im Büro 605, einem zehn Quadratmeter großen Viereck in der roten Zone der sechsten Etage des Polizeipräsidiums, dem Glas- und Betonklotz mit der größten Ansammlung von Polizisten in ganz Norwegen. Er teilte sich das liebevoll als »Aufklärungsbüro« bezeichnete Zimmer mit dem jungen Beamten Halvorsen, wobei er manchmal, wenn er seinen Kollegen zusammenstauchen wollte, auch vom »Ausbildungsbüro« sprach.
    Aber jetzt war Harry allein. Er starrte an die Wand, an der vermutlich das Fenster gewesen wäre, wenn das Aufklärungsbüro denn eines gehabt hätte.
    Es war Sonntag, er hatte seinen Bericht geschrieben und konnte nach Hause gehen. Warum tat er es also nicht?
    Durch das imaginäre Fenster sah er das eingezäunte Hafengelände von Bjørvika. Der Neuschnee legte sich wie Konfetti auf die roten, grünen und blauen Container. Der Fall war aufgeklärt. Per Holmen, ein junger Heroinabhängiger, hatte von seinem Leben genug gehabt und sich drinnen im Container seinen letzten Schuss gesetzt. Mit einer Pistole. Keine Zeichen äußerer Gewaltanwendung, die Waffe hatte neben ihm gelegen. Nach Auskunft der Informanten hatte Per Holmen niemand Geld geschuldet. Aber wenn die Dealer jemand wegen Drogenschulden hinrichteten, versuchten sie ohnehin nicht, dies zu verbergen. Ganz im Gegenteil. Also eindeutig Selbstmord. Warum sollte er sich also den Abend damit versauen, in einem zugigen Containerhafen herumzulaufen, in dem er doch auf nichts anderes stoßen würde als noch mehr Tristesse?
    Harry blickte auf seinen Wollmantel, der an der Garderobe hing.Der kleine Flachmann in der Innentasche war voll. Und unberührt, seit er im
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