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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu
Autoren: Ursula K. LeGuin
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und Ungeheuern kann ich nur eines tun: die Welt von ihnen säubern. Aber mit dir, der du einmal ein Mann warst, kann ich sprechen; du bist wenigstens fähig, vernünftig zu reden. Und fähig, Bestrafung zu verstehen. Du hast wahrscheinlich angenommen, daß du sicher bist, weil dein König auf dem Thron sitzt und mein Meister, unser Meister, vernichtet wurde. Du hast geglaubt, daß du deinen Willen durchgesetzt hast, und hast das Versprechen des ewigen Lebens zunichte gemacht, nicht wahr?«
    »Nein«, antwortete Geds Stimme.
    Sie konnte nichts sehen. Sie sah nur den Staub der Straße und schmeckte ihn im Mund. Sie hörte Ged sprechen. Er sagte: »Im Sterben ist Leben.«
    »Quack, quack, zitier nur die Gesänge, Meister von Rok – Schulmeister! Welch lustiger Anblick: der große Oberste Magier, gekleidet wie ein Ziegenhirt, und kein Funke Magie in ihm – kein einziges Wort der Macht. Kannst du einen Zauberspruch aufsagen, Oberster Magier? Nur einen kleinen Zauber – nur ein winziges Blendwerk? Nein? Kein einziges Wort? Mein Meister hat dich besiegt. Weißt du es jetzt? Du hast ihn nicht geschlagen. Seine Macht lebt! Ich könnte dich für eine Weile hier am Leben erhalten, damit du diese Macht siehst – meine Macht. Damit du den alten Mann siehst, den ich vor dem Tod bewahre – dafür könnte ich dein Leben verwenden, wenn ich es brauche –, und damit du siehst, wie sich dein zudringlicher König mit seinen gezierten Höflingen und dummen Zauberern zum Narren macht, indem er eine Frau sucht! Eine Frau, die über uns herrschen soll! Doch die Herrschaft ist hier, die Gewalt ist hier, hier, in diesem Haus. Das ganze Jahr über habe ich andere um mich versammelt, Männer, die die wahre Macht kennen. Manche von ihnen aus Rok, den Schulmeistern vor der Nase weggeschnappt. Und manche aus Havnor, dem angeblichen Sohn Morreds vor der Nase weggeschnappt; er will, daß ihn eine Frau beherrscht, dein König, der sich für so ungefährdet hält, daß er sich mit seinem wahren Namen bezeichnet. Kennst du meinen Namen, Oberster Magier? Erinnerst du dich an mich, vor vielen Jahren, als du der große Meister der Meister warst und ich ein demütiger Student in Rok war?«
    »Du wurdest Aspen genannt«, antwortete die geduldige Stimme.
    »Und mein wahrer Name?«
    »Ich kenne deinen wahren Namen nicht.«
    »Was? Du kennst ihn nicht? Kannst du ihn nicht herausfinden? Kennen Magier nicht alle Namen?«
    »Ich bin kein Magier.«
    »Ach, sag das noch einmal.«
    »Ich bin kein Magier.«
    »Es gefällt mir, wenn du das sagst. Sag es noch einmal.«
    »Ich bin kein Magier.«
    »Aber ich bin einer!«
    »Ja.«
    »Sag es!«
    »Du bist ein Magier.«
    »Ah! Das ist besser, als ich gehofft hatte! Ich habe nach einem Aal gefischt und den Wal gefangen. Komm weiter, komm, und lern meine Freunde kennen. Du kannst gehen. Sie kann kriechen.«
    Sie gingen die Straße zum Herrenhaus des Fürsten von Re Albi hinauf und traten ein, Tenar auf Händen und Knien auf der Straße und auf den Marmorstufen zur Tür hinauf, und auf dem Marmorfußboden der Korridore und Räume.
    Im Haus war es dunkel. Mit der Dunkelheit schlich Dunkelheit in Tenars Geist, so daß sie immer weniger davon verstand, was gesagt wurde. Nur manche Worte und Stimmen drangen klar zu ihr durch. Sie verstand, was Ged sagte, und wenn er sprach, dachte sie an seinen Namen und klammerte sich im Geist an ihn. Aber er sprach sehr selten und nur, um dem einen zu antworten, dessen Name nicht Tuaho war. Dieser sprach gelegentlich zu ihr und nannte sie Hündin. »Das ist mein neues Haustier«, sagte er zu anderen Männern, zu mehreren von ihnen, die sich in der Dunkelheit aufhielten, wo Kerzen Schatten warfen. »Seht ihr, wie gut sie dressiert ist? Wälz dich herum, Hündin!« Sie wälzte sich herum, und die Männer lachten.
    »Sie hatte einen Welpen, dessen Bestrafung ich vollenden wollte«, sagte er, »weil er nur halb verbrannt wurde. Aber statt dessen hat sie mir einen Vogel gebracht, den sie gefangen hat, einen Sperber. Morgen werden wir ihm das Fliegen beibringen.«
    Andere Stimmen sprachen Worte, aber sie verstand Worte nicht mehr.
    Etwas wurde ihr um den Hals befestigt, und sie wurde gezwungen, weitere Treppen hinauf und in einen Raum zu kriechen, der nach Urin, verfaulendem Fleisch und süßen Blumen roch. Stimmen sprachen. Eine kalte Hand wie ein Stein schlug ihr schwach gegen den Kopf, während etwas lachte, »Eh, eh, eh«, wie eine Tür, die auf und zu knarrt. Dann wurde sie getreten und
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