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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu
Autoren: Ursula K. LeGuin
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an.
    »Sie hatten nicht einmal eine Decke über sie gelegt«, sagte sie.
    Sie ging weiter.
    »Man hatte sie in das brennende Feuer gestoßen«, fuhr sie fort. Sie schluckte und wischte sich die klebrigen Samen aus dem heißen Gesicht. »Ich hätte noch glauben können, daß sie stürzte, aber wenn sie bei Bewußtsein gewesen wäre, hätte sie sich zu retten versucht. Sie schlugen sie, glaubten wahrscheinlich, daß sie sie getötet hatten, und wollten verbergen, was sie ihr angetan hatten, deshalb …«
    Sie unterbrach sich erneut, sprach dann weiter.
    »Vielleicht war er es nicht. Vielleicht hat er sie herausgezogen. Schließlich holte er Hilfe für sie. Er muß der Vater gewesen sein. Ich weiß es nicht. Es spielt keine Rolle. Wer kann das schon wissen? Wen kümmert es? Wer wird sich um das Kind kümmern? Warum tun wir, was wir tun?«
    »Wird sie am Leben bleiben?« fragte Goha leise.
    »Es ist möglich«, antwortete Lerche. »Es ist gut möglich, daß sie am Leben bleibt.«
    Nach einer Weile, als sie sich dem Dorf näherten, meinte sie: »Ich weiß nicht, warum ich zu dir kommen mußte. Eppich ist bei ihr. Man kann nichts tun.«
    »Ich könnte nach Thalmund gehen und Bucher holen.«
    »Er könnte nichts tun. Es geht über … Es geht über unsere Hilfe hinaus. Ich habe sie gewärmt. Eppich hat ihr einen Trank gegeben und einen Schlafzauber gewirkt. Ich habe sie nach Hause getragen. Sie muß sechs oder sieben sein, aber sie wog nicht einmal soviel wie eine Zweijährige. Sie ist nie richtig aufgewacht. Aber sie keucht irgendwie … Ich weiß, daß du nichts tun kannst. Aber ich wollte dich dabeihaben.«
    »Ich will dabeisein«, erklärte Goha. Doch bevor sie Lerches Haus betraten, schloß sie die Augen und hielt die Luft einen Augenblick lang voller Angst an.
    Lerches Kinder waren hinausgeschickt worden, und im Haus war es still. Das Kind lag bewußtlos in Lerches Bett. Eppich, die Dorfhexe, hatte eine Salbe aus Hexenhaselnuß und Allesheiler auf die leichteren Verbrennungen gestrichen, jedoch die rechte Seite des Gesichts und des Kopfs und die bis zu den Knochen verkohlte rechte Hand nicht angerührt. Sie hatte oberhalb des Bettes die Rune Pirr gezeichnet und es dabei bewenden lassen.
    »Kannst du etwas tun?« fragte Lerche flüsternd.
    Goha blickte zu dem verbrannten Kind hinunter. Ihre Hände bewegten sich nicht. Sie schüttelte den Kopf.
    »Du hast doch oben auf dem Berg heilen gelernt!« Schmerz, Scham und Zorn sprachen aus der Freundin und bettelten um Linderung.
    »Nicht einmal Ogion könnte dies heilen«, widersprach die Witwe.
    Lerche wandte sich ab, biß sich auf die Lippen und weinte. Goha schloß sie in die Arme und strich ihr über das graue Haar. Sie hielten sich umschlungen.
    Die Hexe Eppich kam aus der Küche herein und runzelte bei Gohas Anblick die Stirn. Obwohl die Witwe keinen Zauber wirkte und niemanden verzauberte, hieß es, daß sie, bevor sie nach Gont kam, als Schützling des Magiers in Re Albi gelebt hatte, daß sie den Obersten Magier von Rok kannte und zweifellos fremde, unheimliche Kräfte besaß. Die Hexe, die ihre Vorrechte eifersüchtig hütete, trat ans Bett und machte sich zu schaffen, häufte in einem Teller etwas auf und zündete den Hügel an, bis es rauchte und stank, während sie unaufhörlich einen Heilzauber murmelte. Der ranzige Rauch der Kräuter brachte das verbrannte Kind zum Husten; es richtete sich zuckend und schaudernd halb auf. Es keuchte, rasche, kurze, rasselnde Atemzüge. Sein einziges Auge schien zu Goha heraufzublicken.
    Goha trat vor und nahm die linke Hand des Kindes in die ihre. Sie sprach in ihrer eigenen Sprache. »Ich habe ihnen gedient, und ich habe sie verlassen«, sagte sie. »Ich werde nicht zulassen, daß sie dich bekommen.«
    Das Kind starrte sie oder nichts an, versuchte zu atmen, versuchte wieder zu atmen und versuchte wieder zu atmen.

Unterwegs zum Falkennest
    ÜBER EIN JAHR DANACH , während der heißen weiten Tage nach dem Langen Tanz, kam ein Bote auf der Straße aus dem Norden ins Mitteltal und fragte nach der Witwe Goha. Die Leute im Dorf wiesen ihm den Weg, und er erreichte den Eichenhof spät am Nachmittag. Er hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht und flinke Augen. Er musterte Goha und die Schafe im Pferch hinter ihr und sagte: »Schöne Lämmer. Der Magier von Re Albi schickt nach dir.«
    »Er hat dich geschickt?« fragte Goha ungläubig und belustigt. Wenn Ogion sie sehen wollte, schickte er schnellere, bessere Boten aus – den Ruf
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