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Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
Autoren: Ursula K. LeGuin
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Hände hinunter, die einander fest umklammert hielten.
    »Was soll ich tun?«, fragte er.
    Sperber sagte nichts.
    Nach einer langen Pause des Schweigens sprach Erle weiter: »Der Harfner, von dem ich Euch erzählte, war ein guter Freund von mir. Nach einer Weile merkte er, dass etwas nicht stimmte, und als ich ihm erzählte, dass ich des Nachts aus Angst vor meinen Träumen von den Toten nicht schlafen konnte, drängte er mich, eine Schiffspassage nach Ea zu nehmen und dort selbst einen grauen Zauberer aufzusuchen.« Er meinte damit einen Mann, der in Rok ausgebildet worden war. »Als dieser Zauberer aber hörte, was für Träume ich hatte, sagte er, ich müsse nach Rok reisen.«
    »Wie heißt er?«
    »Beryl. Er dient dem Fürsten von Ea, welcher der Herr der Insel Taon ist.«
    Der alte Mann nickte.
    »Er könne nicht helfen, meinte er, aber sein Wort sei für den Schiffseigner so gut wie Gold. Also schiffte ich mich wieder ein. Es war eine lange Reise, um die Küste von Havnor herum und durch die Innensee. Ich hoffte, dadurch, dass ich Taon hinter mir ließ und mich immer weiter von ihm entfernte, vielleicht auch den Traum hinter mir zu lassen. Der Zauberer auf Ea hatte die Stätte in meinem Traum das trockene Land genannt, und ich dachte, ich würde mich vielleicht von ihm entfernen, da ich ja auf dem Meer war. Aber ich fand mich jede Nacht auf dem Hange wieder. Und bald, als Zeit verstrichen war, mehr als einmal in der Nacht. Zweimal oder dreimal oder jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, bin ich auf dem Hügel, und unter mir ist die Mauer, und die Stimmen rufen mich. Ich bin wie ein Mann, der wahnsinnig ist vom Schmerz einer Wunde und der Frieden nur im Schlummer finden kann - nur dass der Schlummer meine Qual ist.«
    Die Seeleute gingen ihm bald aus dem Weg: des Nachts, weil er sie weckte, wenn er aus dem Schlaf schrak, und am Tage, weil sie fürchteten, ein Fluch laste auf ihm.
    »Und auch auf Rok fandest du keine Linderung?«
    »Im Hain«, sagte Erle, und sein Gesicht veränderte sich gänzlich, als er das Wort aussprach.
    Sperbers Gesicht trug einen Augenblick lang den gleichen Ausdruck.
    »Der Meister der Formgebung führte mich dorthin, unter die Bäume, und ich konnte schlafen. Sogar nachts konnte ich schlafen. Bei Tageslicht, wenn die Sonne auf mich scheint - so wie gestern Nachmittag hier -, wenn die Wärme der Sonne mich berührt und ihre Strahlen rot durch meine Augenlider leuchten, dann fürchte ich nicht zu träumen. Aber im Hain war überhaupt keine Furcht, und ich lernte die Nacht wieder zu lieben.«
    »Erzähl mir, wie es war, als du nach Rok kamst.«
    Trotz Müdigkeit, Schmerz und Scheu hatte Erle die Silberzunge seiner Insel; und auch wenn er manches ausließ aus Angst, zu weitschweifig zu sein oder dem Erzmagier zu berichten, was der schon wusste, so konnte es sich sein Zuhörer sehr wohl in Gedanken vorstellen, zumal er sich erinnerte, wie er selbst als fünfzehnjähriger Jüngling zum ersten Mal auf die Insel der Weisen gekommen war.
    Als Erle sich im Hafen der Stadt Thwil ausschiffte, hatte einer der Matrosen bereits die Rune der Geschlossenen Tür in die oberste Stufe des Landungssteges geritzt, um zu verhindern, dass er je wieder an Bord käme. Erle entging dies nicht, doch er fand, dass der Matrose guten Grund hatte. Er fühlte selbst, dass ein böses Omen auf ihm lastete, dass er Dunkelheit in sich trug. Das machte ihn noch scheuer, als er es ohnedies in einer fremden Stadt gewesen wäre. Und Thwil war in der Tat eine sehr fremde, ja merkwürdige Stadt.
    »Die Straßen führen einen in die Irre«, sagte Sperber.
    »Und ob sie das tun, Herr! - Verzeiht, meine Zunge will meinem Herzen gehorchen und nicht Euch ...«
    »Das macht nichts. Ich war einst daran gewöhnt. Ich kann wieder Herr Ziegenhirt sein, wenn es deine Sprache lockert. Fahr fort.«
    Fehlgeleitet von denen, die er fragte, oder ihre Weisungen missverstehend, irrte Erle durch das hügelige kleine Labyrinth der Stadt Thwil, die Schule stets im Auge, doch nimmer im Stande, zu ihr zu gelangen, bis er schließlich, der Verzweiflung schon sehr nahe, an eine schmucklose Tür in einer kahlen Mauer auf einem glanzlosen Platz geriet. Nachdem er sie eine Weile angestarrt hatte, erkannte er, dass die Mauer die nämliche war, zu der er schon die ganze Zeit zu gelangen trachtete. Er klopfte, und ein Mann mit einem ruhigen Gesicht und ruhigen Augen öffnete die Tür.
    Erle wollte ihm sagen, dass ihn der Zauberer Beryl von Ea mit einer
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