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Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
Autoren: Ursula K. LeGuin
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schenken; vage irritiert über die Anwesenheit von so vielen Menschen auf seiner lieblichen stillen Lichtung, schaute er zu, wie das Sonnenlicht langsam zwischen den Blättern herunterkroch. Seine Wache wurde belohnt, als die Prinzessin zu ihm kam, sich vor ihn kniete, ihm mit sorgenvollem Respekt ins Gesicht sah und sagte: »Herr Azver, der König möchte mit Euch sprechen.«
    Sie half ihm auf, als wäre er ein alter Mann. Es machte ihm nichts aus. »Danke, gaina«, sagte er.
    »Ich bin keine Königin«, entgegnete sie mit einem Lachen.
    »Aber Ihr werdet eine sein«, erwiderte der Formgeber.
     
    Es war die hohe Flut des Vollmondes, und die Delphin musste warten, bis das Stauwasser zwischen die Festungsklippen lief. Tenar verließ das Schiff erst am späten Morgen in Gonthafen, und dann war da ja auch noch der lange Aufstieg. Es war bereits kurz vor Sonnenuntergang, als sie durch Re Albi kam und den Pfad an den Felsen entlang zum Haus einschlug.
    Ged goss gerade den Kohl, der inzwischen kräftig gewachsen war.
    Er richtete sich auf und schaute ihr entgegen, mit seinem Sperberblick, die Stirn in Falten gelegt. »Ah«, sagte er.
    »Oh, mein Schatz«, rief sie. Sie rannte die letzten paar Schritte, als er ihr entgegenkam.
     
    Sie war müde. Sie war froh, bei einem Glas von Funkes gutem Rotwein zusammenzusitzen und zuzuschauen, wie der frühherbstliche Abend über dem westlichen Meer zu goldenem Glanz entflammte.
    »Wie kann ich dir alles erzählen?«, fragte sie.
    »Erzähl es rückwärts«, sagte er.
    »Nun gut. Dann will ich das tun ... Sie wollten, dass ich bleibe, aber ich sagte, ich wolle nach Hause. Aber es fand eine Ratsversammlung statt, der Rat des Königs, weißt du, wegen der Verlobung. Es wird natürlich eine glanzvolle Hochzeit geben, mit allem Drum und Dran, aber ich glaube nicht, dass ich dorthin muss. Denn in Wahrheit haben sie schon geheiratet. Mit Elfarrans Ring. Unserem Ring.«
    Er sah sie an und lächelte, das breite, gütige Lächeln, von dem sie, vielleicht zu Recht, vielleicht zu Unrecht, glaubte, niemand außer ihr habe es jemals in seinem Gesicht gesehen.
    »Ja?«, sagte er.
    »Lebannen kam und stellte sich hier hin, da, zu meiner Linken, und dann kam Seserakh und stellte sich dort hin, zu meiner Rechten. Vor Morreds Thron. Und ich hielt den Ring empor. So wie ich es tat, als wir ihn nach Havnor brachten, erinnerst du dich noch? Auf der Weitblick, im Sonnenlicht? Lebannen nahm ihn in die Hände und küsste ihn und gab ihn mir zurück. Und ich steckte ihn an ihren Arm, er ging gerade mal über ihre Hand. Sie ist keine kleine Frau, die Prinzessin Seserakh ... Ach, du müsstest sie sehen, Ged! Was für eine Schönheit sie ist, was für eine Löwin! Er hat die Richtige gefunden. -Und alle jubelten. Es gab Feste und dergleichen. Und so konnte ich weg.«
    »Erzähl weiter.«
    »Rückwärts?«
    »Rückwärts.«
    »Gut. Davor war Rok.«
    »Rok ist niemals einfach.«
    »Nein.«
    Sie tranken schweigend ihren Rotwein.
    »Erzähl mir vom Formgeber.«
    Sie lächelte. »Seserakh nennt ihn den Krieger. Sie sagt, nur ein Krieger würde sich in einen Drachen verlieben.« »Wer folgte ihm in das trockene Land - in jener Nacht?«
    »Er folgte Erle.«
    »Ach«, sagte Ged, überrascht und mit einer gewissen Befriedigung in der Stimme.
    »Das Gleiche taten auch andere von den Meistern. Und Lebannen und Irian ...«
    »Und Tehanu.«
    Schweigen.
    »Sie ging aus dem Haus. Als ich herauskam, war sie weg.« Erneutes Schweigen. »Azver sah sie. Bei Sonnenaufgang. Auf dem anderen Wind.«
    Schweigen.
    »Sie sind alle weg. Es gibt keine Drachen mehr auf Havnor oder den westlichen Inseln. Als sich jener Schattenort und all die Schatten in ihm wieder mit der Welt des Lichts vereinigten, gewannen sie ihr wahres Reich zurück, sagt Onyx.«
    »Wir zerbrachen die Welt, um sie ganz zu machen«, erwiderte Ged.
    Nach einer erneuten Pause des Schweigens sagte Tenar mit leiser, dünner Stimme: »Der Formgeber glaubt, Irian werde zum Hain zurückkehren, wenn er sie ruft.«
    Ged sagte nichts. Dann, nach einer Weile: »Schau einmal dorthin, Tenar.«
    Sie wandte den Blick in die Richtung, in die er schaute, in den düsteren Schlund aus Luft über dem westlichen Meer.
    »Wenn sie kommt, wird sie von dort kommen«, sagte er. »Und wenn sie nicht kommt, so ist sie dort.«
    Sie nickte. »Ich weiß.« Ihre Augen waren jetzt voller Tränen. »Lebannen hat mir ein Lied vorgesungen, auf dem Schiff, als wir zurück nach Havnor fuhren.« Sie konnte
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