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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher
Autoren: Stefan Brijs
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Pech und Schwefel.
    Zu Hause hatte er einen kleinen Löffel von dem Sirup genommen, weniger als die verordnete Menge – wenn es nun vergiftet war? –, und schon bald war das Sodbrennen erträglicher geworden. Nach zwei Tagen war es fast ganz verschwunden gewesen, und weitere zwei Tage später fühlte er sich, als hätte er nie irgendwelche Beschwerden gehabt. Allein dadurch war er so erleichtert, dass er bei der nächsten Messe, Kapitel 6 aus dem Lukas-Evangelium vorlas, obwohl dem liturgischen Kalender zufolge ein anderer Text an der Reihe gewesen wäre.
    »Richtet nicht«, predigte er an jenem Sonntag, »so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebet, so wird euch vergeben.«
    Und alle Anwesenden sahen mit eigenen Augen, dass der Priester bei der Kommunion zum ersten Mal seit Wochen nicht vor Schmerzen das Gesicht verzog, als er den billigen Messwein hinunterschluckte, der ihm sonst immer den Magen versengt hatte.
    Hühneraugen, trockener Husten, Frostbeulen an den Zehen, ein Furunkel oder eine Schürfwunde: Seit der Genesung Pastor Kaisergrubers war den Wolfheimern das kleinste Wehwehchen Grund genug, am Zauntor des Doktorhauses zu klingeln. Aber auch diejenigen, die unter einer unheilbaren Krankheit, einem schleichenden Bandscheibenvorfall oder, wie Gunther Weber, an angeborener Gehörlosigkeit litten, statteten Doktor Hoppe einen Besuch ab, natürlich in der Hoffnung, dass er für ein neues Wunder sorgen würde.
    Obwohl Irma Nussbaum anderes behauptet hatte, schien der Doktor noch nicht recht auf den Empfang all der Patienten vorbereitet zu sein. Wie schon der Priester festgestellt hatte, konnte von einem echten Sprechzimmer noch keine Rede sein, und auch das frühere Wartezimmer war noch nicht wieder hergerichtet, wie sich herausstellte, sodass Patienten mitunter in der kleinen Diele warten mussten, wo es kalt von der Haustür hereinzog.
    Stets entschuldigte der Doktor sich für die Unannehmlichkeiten und ließ wissen, er habe noch nicht alles ausgepackt, weshalb er auch bei der Untersuchung regelmäßig den Raum verlassen musste, um irgendwelche Dinge zu holen, wie etwa ein Blutdruckmessgerät oder Desinfektionsmittel.
    Doktor Hoppe war stets freundlich und zuvorkommend, und er verlangte nie ein Honorar, wodurch er sich, vielleicht unbewusst, bei den Dorfbewohnern noch beliebter machte. Nach kurzer Zeit kamen diese zu allen möglichen und unmöglichen Tageszeiten, von frühmorgens um halb sieben, kaum dass das Licht hinter den Fenstern des Doktorhauses angegangen war, bis spät in den Abend hinein. Mitunter nahm man die Dienste des Doktors sogar noch mitten in der Nacht in Anspruch, wie das eine Mal, als Eduard Mantels aus der Napoleonstraße 20 einfach nicht einschlafen konnte, auch nach zwei Tassen Lindenblütentee mit Rum nicht, und zu guter Letzt den Doktor aus dem Bett holte, um sich ein Schlafmittel geben zu lassen.

4
    Eines Samstags im Juli, ein paar Wochen nach der Wiederauferstehung Georg Bayers, hing schließlich ein Schild mit Sprechstunden am Tor des Doktorhauses: von neun bis elf Uhr morgens und von halb sieben bis acht Uhr abends, nur werktags. Und außerhalb dieser Zeiten sollte man telefonisch einen Termin vereinbaren. Einige Einwohner waren darüber aufgebracht, weil ihrer Ansicht nach ein Doktor immer für seine Patienten da zu sein hatte, aber die meisten hatten durchaus Verständnis für die Entscheidung Doktor Hoppes, der im Gegenzug den Warteraum und das Sprechzimmer in Ordnung bringen ließ. Damit beauftragte er Florent Keuning, der sich regelmäßig mit Handwerksarbeiten etwas hinzuverdiente. Nun verpasste er den Wänden also einen neuen Anstrich, lackierte Fenster und Türen, schliff die Holzböden ab und versiegelte sie. Auch in den restlichen Teilen des Hauses gab es einiges zu erledigen: Scharniere und Klinken ölen, klemmende Fenster und Türen in Ordnung bringen, Feuchtigkeitsflecken an den Wänden und Decken untersuchen und behandeln, ein paar altersschwache Rohre dichten. Alles in allem war er einen guten Monat zugange.
    Unterdessen bekam er zu seiner eigenen Überraschung auch ab und zu die Drillinge zu Gesicht. Seit der Doktor seine Kinder jenes eine Mal im »Terminus« gezeigt hatte, hatte niemand mehr einen Blick auf sie erhaschen können, weder drinnen noch draußen. Nicht einmal ihr Geheul hatte man noch vernommen, obwohl die Patienten im Wartezimmer darauf immer besonders geachtet hatten.
    »Die Kinder sind so still«, hatte
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