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Der Engel auf der Fensterbank

Der Engel auf der Fensterbank

Titel: Der Engel auf der Fensterbank
Autoren: J. Walther
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begeistertes Gesicht und lächelte: “Komm, du frierst noch!”
    “Kann ich gar nicht”, antwortete Michael fröhlich, nahm aber Jonathans angebotene Hand und ließ sich aufhelfen. Sie liefen weiter, folgten dem Hauptweg durch den Wald.
    Ein Mann und eine Frau, die Arm in Arm liefen, kamen ihnen entgegen. Michael musterte sie eingehend, dann hing er sich unbefangen bei Jonathan ein. Jonathan erstarrte, denn mit dererlei Gesten hatte er sich bisher in der Öffentlichkeit stets zurückgehalten. Doch Michaels Schulter drückte gegen seine, das lange Haar streift ihn, als Michael den Kopf drehte, und er ließ es geschehen.
    Schnell fanden sie einen gemeinsamen Schritt und liefen tiefer in den Wald, ohne dass sie die Anstrengung spürten. Einige Leute sahen sie erstaunt an, ein altes Ehepaar folgte ihnen mit bösen Blicken - Jonathan bemerkte es wohl, Michael schien es jedoch nicht zu sehen, kümmerte sich um nichts um sie herum. Und nun ließ Jonathan ihn nicht mehr los, nicht jetzt, wo sie dicht an dicht durch den Schnee liefen und von Michael eine Wärme ausging, die durch seinen dicken Mantel drang.
    Schließlich erreichten sie im Herzen des Waldes ein altes Forsthaus, in dem sich ein Café befand. Jonathan führte Michael hinein, sie entledigten sich ihrer Mäntel und fanden in einer Ecke zwei Sessel. Die Wände des Raumes waren mit dunklem Holz getäfelt, darüber rot gestrichen und Kerzen erhellten die kleinen Tische. Jonathan bestellte für sie beide heiße Schokolade, die Michael begeistert trank.
    “Kakao riecht gut”, sagte er genießerisch.
    “Du kannst doch gar nicht riechen”, sagte Jonathan leise.
    “Manchmal habe ich jetzt das Gefühl, ich könnte es. Du riechst auch gut, wenn du geduscht hast.”
    Jonathan sah sich um, ob jemand sie gehört hatte, aber niemand kümmerte sich um sie. Am Nebentisch saß ein junges Paar, der Mann strich über die Hand der Frau, während sie sich in die Augen sahen.
    Die Frau schmiegte die Hand an seine Wange und küsste ihn. Michael legte den Kopf leicht schräg, während er dem Paar unverwandt zusah, seine leere Tasse in der Hand.
    “Was machen die da?”, fragte Michael laut, als die Küsse des Paares intensiver wurden.
    “Nicht hier”, flüsterte Jonathan und zog Michael am Ärmel.
    “Zeigst du mir das Zuhause?” Michael wandte den Blick zu Jonathan.
    “Pscht …”, Jonathan war rot geworden. Als Michael den Mund aufmachte, sagte er schnell: “Zuhause!” Dann trank er seine Schokolade eilig aus und holte ihre Mäntel.
    Auf dem Weg zurück jagte Michael einem kleinen Hund hinterher, winkte Kindern, die Schlitten fuhren, rannte durch den aufstiebenden Schnee und hakte sich nicht bei Jonathan ein.
    Zurück in der Wohnung ließ Michael seinen Mantel fallen und half Jonathan aus seinem.
    “Also”, sagte Michael geschäftsmäßig und drängte Jonathan gegen die Wand. Er öffnete seine Lippen leicht und kam Jonathan, der sich unsicher wand, immer näher. Michael küsste ihn auf die Mundwinkel, dann presste er seine Lippen unbeholfen auf Jonathans. Der erwiderte den Kuss, ließ seine Zungenspitze an Michaels geöffneten Lippen entlang gleiten. Auch Michael, der schnell lernte, drang mit seiner Zunge vor, drückte sich gegen Jonathan und sie gaben sich ihrem Kuss hin.
    Michaels Flügel entfalteten sich und raschelten leise. Schwer atmend sagte Michael: “Gott, das ist …”
    “Gut”, sagte Jonathan leise, “das ist gut.”

 
    V
    Am nächsten Morgen lag Michael still neben Jonathan im Bett. Er brauchte keinen Schlaf, hatte die Nächte aber meist ruhig im Wohnzimmer verbracht, weil Jonathan ihn darum gebeten hatte.
    Doch heute Morgen hatte er sich leise ins Schlafzimmer geschlichen und betrachtete den schlafenden Jonathan, sein Gesicht, das ohne die Brille viel weicher aussah und seine Lippen, deren Anblick ein verwirrendes Kribbeln bei ihm auslöste. Er betrachtete Jonathan eine weitere Stunde in dem fahlen Licht, das durch die Vorhänge drang, bevor er begann, sich Sorgen zu machen.
    Er rüttelte Jonathan am Arm: “Bist du tot?”
    Jonathan drehte sich auf die andere Seite und murmelte: “Offensichtlich nicht.”
    “Bloß gut”, sagte Michael leise. Er legte seine Hand auf Jonathans Arm und schmiegte sich hinter ihn. Er lauschte dem Ticken des Weckers und einem mysteriösen, gleichmäßigen Geräusch, das von Jonathan ausging. Nach einer Weile drehte Jonathan sich zurück, stieß gegen Michael und schrak hoch.
    “Was machst du hier?”
    “Dir
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