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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel
Autoren: Ueberreuter
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das Ding in den Mund – mit Schale«, staunte die Frau. »Mal schauen, ob ihm auch eine Ananas schmeckt. Was meinst du, Klaus, frisst er die Blätter auch mit? Die sind doch ganz schön hart …«
    Ricarda musste lächeln. In der Wildnis ernährten sich Elefanten unter anderem von Baumrinde, die war noch um einiges härter. Und sie hatte mal in der Zeitung gelesen, dass die Elefanten im Münchner Zoo in der Adventszeit übrig gebliebene Weihnachtsbäume verputzen durften. Nicht mal den Stamm ließen sie übrig.
    »Komm, wir füttern ihn auch!« Sofia streckte dem Mahout einen 50-Baht-Schein entgegen und bekam ein halbes Dutzend Bananen ausgehändigt. Der Elefant beobachtete es aufmerksam, das Neonlicht spiegelte sich in seinen dunklen Augen.
    »Los, gib mir auch eine.« Ricarda schnappte sich eine der Bananen.
    Eine feuchte Rüsselspitze mit zwei rosafarbenen Nasenlöchern und einem Greiffinger an der Spitze tastete danach, nahm die Frucht behutsam aus ihrer Hand. Ricarda klopfte den Rüssel, der sich wie raues, hartes Leder anfühlte. Der Elefant ragte hoch über ihr auf, war eine dunkle Silhouette vor dem Nachthimmel … doch sie hatte keine Angst vor ihm. Er wirkte gelassen, nicht bedrohlich.
    Sein Mahout redete in schnellem Thai auf ihn ein, dann lächelte er Ricarda und Sofia an. »Feed some more?«
    Aus der Nähe betrachtet wirkte der Elefant sehr mager, Ricarda konnte seine Rippen erkennen. Nach und nach gefror ihre Aufregung zu Mitleid. Bestimmt war es kein sonderlich schönes Leben, durch die Stadt zu ziehen: Abgasgestank statt reiner Luft, Lärm statt Dschungelstille. Auf einmal war in Ricardas Mund ein schaler Geschmack. »Wir hätten dem Kerl kein Geld geben dürfen«, zischte sie Sofia zu. »Das führt nur dazu, dass noch mehr Elefanten in der Stadt betteln müssen.«
    Sofia verzog das Gesicht. »Stimmt. Außerdem sehen wir ab morgen noch genug Dickhäuter. Komm, wir gehen wieder rein. Sonst denken die, wir wollten die Zeche prellen.«
    Eine junge thailändische Frau unterhielt sich mit dem Mahout und drückte ihm Geld in die Hand. Ricarda wunderte sich: Die Frau hatte gar kein Futter für den Elefanten erhalten. Stattdessen bückte sie sich … und kroch unter dem Bauch des Tiers durch!
    »Wozu soll das denn gut sein?«, wunderte sich Ricarda, und ein anderer Tourist meinte: »Viele Thais glauben, dass das Glück bringt und Frauen eine leichte Geburt haben, wenn sie später Kinder bekommen.«
    Ein paar Minuten später beobachteten sie, wie der Mahout mit seinem Tier weiterzog. Jetzt konnte Ricarda sehen, dass der Elefant Reflektorbänder an denHinterbeinen trug, und das brachte sie aus irgendeinem Grund zum Kichern. Solche Dinger hatte sie zuletzt an den Beinen ihres Vaters gesehen, als er sich bereit machte, zur Schule zu radeln …
    Trotz seiner Größe schritt der Elefant völlig lautlos über den Asphalt. Er hatte einen sanften, wiegenden Gang, wie in Zeitlupe setzte er einen Fuß vor den anderen und kam doch schnell voran. Keiner der ausgehfein zurechtgemachten Bewohner Bangkoks schien etwas dabei zu finden, dass er sich mit ihnen die Straße teilte – kaum jemand wandte den Kopf.
    Nach wenigen Minuten war das seltsame Duo im Menschengewimmel verschwunden.
    »Ach du Scheiße, hast du mal auf die Uhr geschaut?«, quiekte Sofia plötzlich auf. »Unser Zug!«
    »Verdammt!«, keuchte Ricarda und kramte hektisch in ihrem Portemonnaie nach ein paar Geldscheinen. Dutzendfach das Gesicht des Königs, nur in verschiedenen Farben. In Rosa gefiel er ihr am besten. »Meinst du, wir schaffen es noch?«
    »Na klar.« Sofia sprang auf und eilte in Richtung Straße. »Wir müssen nur irgendwas mit drei oder mehr Rädern erwischen, das uns mitnimmt.«
    Ricarda rannte hinterher. Ihre Beine fühlten sich schwer an, wie zwei Sandsäcke. Außerdem war ihr schlecht. Vielleicht hätte sie das mit dem zweiten Cocktail doch besser sein lassen sollen. Oder waren es drei gewesen? Jetzt bloß nicht kotzen, beschwor sie sich, als das Tuk-Tuk sich einen Weg durch den Verkehr bahnte.Immerhin, in einem offenen Wagen konnte man besser seinen Mageninhalt loswerden als in einem deutschen Taxi. Man musste es nur in der richtigen Richtung tun, damit der Fahrtwind einem nicht die Hälfte davon wieder ins Gesicht wehte. Aber musste man dafür nicht auch beachten, woher der richtige Wind kam?
    Sie war noch nicht fertig mit dem Nachdenken über diese wichtige Frage, als das Tuk-Tuk anhielt. »Train station!«, verkündete der
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