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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat
Autoren: China Miéville
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einem völlig veränderten, deklamierenden Tonfall: »Sie können gehen. Lasst sie passieren. Das Gremium ist nicht unser Feind.«
     

     
    Das Mienenspiel seiner Mitstreiter verriet sprachlose, wütende Konsternation. »Lasst sie passieren.« Er gab seinen fReemade einen auffordernden Wink, nach dem erbitterten Gesichtsausdruck zu urteilen, nicht ganz aus freiem Willen. Seine Männer und Frauen schrien aufgebracht durcheinander, und sekundenlang hatte es den Anschein, dass sie ihm den Gehorsam verweigern wollten. Dann aber schulterten sie fluchend die Waffen und zogen sich zurück.
    Die Blicke des Anführers folgten ihnen, als sie weiterfuhren, und auch sie ließen ihn nicht aus den Augen, bis er und seine Leute hinter einer Wegbiegung nicht mehr zu sehen waren. Die ganze Zeit verharrte er regungslos, wie ein Standbild.
    Cutter berichtete seinen Gefährten von dem Zwang, der von ihm Besitz ergriffen hatte. »Thaumaturgie«, nickte Elsie. »Er muss dich behext haben, der Anführer, die Götter wissen, warum.«
    Cutter schüttelte den Kopf. »Hast du sein Gesicht gesehen? Als er gesagt hat, sie sollen uns gehen lassen? Ihm ist es ergangen wie mir. Er war nicht Herr seines Tuns.«
    In dem Marktflecken trafen sie Kesselflicker und Kaufleute und fahrendes Volk. Zwischen Lehmhütten trieben schläfrig halb gefüllte Gasballons.
     

     
    Am Staubtag, sie stiegen über der Gras/Stein/Blumensteppe in den Himmel, starb Drey. Dabei hatte es ausgesehen, als sei er auf dem Weg der Besserung. In der Stadt war er vollkommen klar gewesen, hatte sogar mit dem Fliegenden Händler gefeilscht, doch in der Nacht zeigten sich die Symptome einer Blutvergiftung. Obwohl er noch lebte, als der Ballon sie der Erdenschwere enthob, tat er bald darauf seinen letzten Atemzug.
    Der Fliegende Händler widmete sich angelegentlich dem brummenden Motor der Gondel. Die Trauer seiner Passagiere machte ihn befangen. Elsie hielt Dreys erkaltenden Körper in den Armen. Endlich, es ging auf Mittag zu, nahmen sie mit einer kleinen Stegreifandacht Abschied. Sie küssten ihren Freund und empfahlen Drey der Obhut der Götter – wenn auch mit dem unguten Gefühl der Freidenker.
    Elsie erinnerte sich an Luftbestattungen, wie sie bei den Stämmen des Nordens vorgenommen wurden. Die Bewohner der Tundra betteten ihre Verstorbenen in offenen Särgen unter Ballons zur letzten Ruhe und ließen sie in den Himmel steigen, durch die eisigen Luftschichten und Wolken, in Bereiche, wo sie dem Fraß von Insekten oder Vögeln oder Fäulnis entzogen waren. Folglich war die Stratosphäre über ihren Jagdgründen eine Katakombe, wo Forschungsreisende in ihren Luftschiffen nur noch auf ziellos treibende, von Kälte mumifizierte Tote trafen.
    Sie gaben Drey eine Himmelfahrt anderer Art, der Notwendigkeit gehorchend, hoben ihn behutsam auf den Korbrand, schoben ihn zwischen den Tauen hindurch und ließen ihn fallen.
    Es war, als flöge er, so wiegte er sich in den Böen und schien entzückt die Arme auszubreiten. Der Wind gab ihm Bewegung, ließ ihn schwerelos tanzen, schattenboxen, und er drehte sich, kleiner werdend, um die eigene Achse. Er sank durch Vogelschwärme. Seine Freunde verfolgten seinen Flug andächtig, in einem Zustand beglückten Staunens, und wandten sich ab, bevor er auf den Boden schlug.
     

     
    Je weiter sie nach Süden kamen, desto karger wurde die Landschaft, die unter ihnen vorbeizog. Der Rudewood verschwand am Horizont. Der Wind stand günstig. Cutter hörte Elsie mit Pomeroy flüstern. Sie weinte über Drey.
    »Wir können jetzt nicht aufgeben«, sagte Pomeroy halblaut zu ihr. »Ich weiß, ich weiß, aber es geht einfach nicht.«
    Dreimal sichteten sie, in etlichen Meilen Entfernung, andere Ballons. Jedes Mal wusste ihr Pilot nach einem kurzen Blick durch sein Teleskop, um wessen Fahrzeug es sich handelte. Die Zunft der aeronautischen Händler war nicht groß. Man kannte die Routen der anderen.
    Der Mann hatte einen erklecklichen Batzen von ihrer Reisekasse für die Passage nach Myrshock gefordert. Doch nachdem sie gehört hatten, dass vor kurzem die Miliz durch Pigtown gekommen war – eine Husareneinheit auf modifizierten Pferden –, mussten sie wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. »Wir sind auf dem richtigen Weg.« Und weil sie nun das Gefühl hatten, endlich vorwärts zu kommen, nicht schnell, aber stetig, keimte in ihnen zum ersten Mal so etwas wie Hoffnung.
    »Schwer zu glauben«, sinnierte Cutter, »dass da unten ein verdammter Krieg im
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