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Der Eiserne König

Der Eiserne König

Titel: Der Eiserne König
Autoren: John Henry Eagle
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mehrmals versucht, sie im Wald auszusetzen. Beim dritten Mal war es ihnen geglückt, und Hans und seine Schwester waren in die Fänge einer Hexe im Lohwald geraten, der sie nur knapp entronnen waren. Er verdrängte die Erinnerung und sah sich nach seinen Kameraden um. Urs führte ein paar Kunststücke mit der Peitsche vor; er war nicht klug, aber er konnte ein Ahornblatt, das jemand mit vier Fingern hielt, mit einem Hieb halbieren. Nach einer Weile befahl ihm Grimm, er solle dem Mädchen, das weiterhin keinen Ton von sich gab und ihn zur Weißglut brachte, endlich einheizen.
    Hans wurde bewusst, dass ringsum Stille eingekehrt war: Die Vögel waren verstummt; der Wind war abgeflaut; das Laub raschelte nicht mehr. Und als er sich noch einmal umdrehte, geschah es: Kurz bevor Urs zuschlug, blitzte ein grelles Licht auf, und grasgrüne Flammen überrollten die Räuber. Stämme, Äste und Blätter der Pappeln brannten lichterloh. Getreide und Gras brannten. Die Erde brannte. Hans wurde von einem glühend heißen Luftstoß umgerissen. Er sah, dass Grimm wie eine lebende Fackel aus dem Gehölz torkelte. Glut und Asche wirbelten. Schreie gellten. Brennende Männer schlugen mit den Armen wie flügellahme Hühner, bis ihnen Rauch und Hitze die Sinne raubten. Sie wankten und stürzten, blieben qualmend liegen, regten sich nicht mehr.
    Hans wurde schwarz vor Augen. Er fiel in eine Ohnmacht, die dem Tod näher war als dem Schlaf.
     
    Als er die Augen öffnete, tanzte ein Mückenschwarm über ihm. Er holte rüttelnd Luft. Die Luft stank nach verbranntem Holz und Fleisch. Seine Haare waren versengt, Mantel und Hose, Wams und Stiefel von Brandlöchern übersät. Er stieß sein Schwert in die Erde, zog sich daran hoch – und erschrak, denn ihm bot sich ein Bild der Verwüstung: Die Wiese war von Asche bedeckt, Pappeln schwelten, Flammen züngelten auf schwarzen Leichen.
    Hans’ Erinnerung kehrte schlagartig zurück.
    Das Mädchen …
    Seine Kameraden waren bis auf den letzten Mann in ihrem Feuer verbrannt.
    Er stolperte über die Wiese. Der Anblick seiner toten Freunde trieb ihm Tränen in die Augen. Das Mädchen schien sich in Luft aufgelöst zu haben, denn er fand keine Überreste. Nur die Stricke ringelten sich wie Schlangen vor der verkohlten Pappel. War sie eine Hexe? Verbrannte jeder Mann, der ihr Böses wollte? Lebte er noch, weil er ihr nichts getan hatte, nicht einmal in Gedanken, und sich vor der Auspeitschung gedrückt hatte? Er musste an ihre grünen Augen denken – das Feuer hatte die gleiche Farbe gehabt. Er unterdrückte ein Schluchzen und sah sich um: Er war allein. Allein mit dem Tod, allein mit der Verwüstung. Nicht einmal die Sonne bot Trost oder Hoffnung.
    Da entdeckte er in der Asche Fußspuren, die zum Auwald führten. Einer seiner Kameraden schien entronnen zu sein. Nach einem letzten Blick auf die toten Räuber, die wie eine Familie für ihn gewesen waren, gab er sich einen Ruck und folgte den Spuren. Sie endeten am Ufer der Usse. Hans legte die Hände um den Mund und rief, aber niemand antwortete. Schließlich sah er einen Leichnam, der sich flussabwärts in den Zweigen einer Trauerweide verfangen hatte. Er rannte hin und stellte fest, dass es Grimm war; er hatte sich wohl in die Usse gestürzt, um die Flammen zu löschen, und war vor Entkräftung ertrunken. Also waren doch alle tot …
    Hans stand unter Schock. Er folgte dem Flussufer, stolperte über Wurzeln, torkelte durch Schilf. Kurz vor der Furt brach er zusammen. Er meinte, am anderen Ufer drei Gestalten zu sehen, einen Greis, eine Frau und einen Wicht, aber bevor er rufen oder winken konnte, wurde er bewusstlos.
     
    Als Hans erwachte, lag er unter einem Bärenfell auf einem Strohlager. Er wischte Schweiß von seiner Stirn und sah sich verwirrt um. Der Raum war klein und niedrig. Kräuter hingen unter der Balkendecke, und Tierschädel zierten die Wände. Vor dem Kaminfeuer, über dem ein Topf brodelte, saß eine alte Frau. Ihr Kleid war schwarz und oft geflickt, und als sie sich zu ihm umwandte, meinte Hans, rotglühende Augen in ihrem runzeligen, von einer Haube umschlossenen Gesicht zu sehen.
    Hans erstarrte, und in seinem Kopf pochte nur ein Gedanke:
Weg hier!
Er riss das Bärenfell ab, kam auf die Beine, die wie Strohhalme unter ihm einknickten, und taumelte aus der Tür ins Freie. Im Schein des Vollmonds sah er, dass die Kate von Holundern umgeben war. Sein Blick zuckte über Hausdach und Außenwände – weder Lebkuchen noch Zuckerwerk,
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