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Der Einfaltspinsel

Der Einfaltspinsel

Titel: Der Einfaltspinsel
Autoren: Tom Sharpe
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Bänken saßen, und hinter ihnen einen hohen Drahtzaun. Wenn er nur nach draußen käme, würde er sich schon viel besser fühlen. Doch ehe er es ins Freie schaffte, schoss Eva aus dem Wartezimmer und auf ihn zu.
    »Wir fahren nach Hause, Henry. Komm sofort mit. Ich höre mir von diesem grässlichen Inspektor keinen Unsinn mehr an«, befahl sie. Dieses eine Mal war Wilt nicht in der Stimmung, sich zu wehren. Er hatte mehr als genug von den stumpfsinnigen, selbstvergessenen Gestalten um ihn herum und von der bedrückenden Atmosphäre der Nervenklinik. Er folgte Eva durch den Haupteingang zu ihrem draußen auf dem Kies geparkten Wagen, doch ehe sie ihn erreichten, hallte eine Serie von Schreien durch das Gebäude.
    »Was um alles in der Welt geht da vor?«, fragte Eva einen kleinen und offenbar verrückten Mann, der von Panik erfüllt an ihnen vorbeieilte.
    »Da drin ist ein Mädchen mit Brüsten, die sich wie Glockenklöppel von einer Seite auf die andere bewegen!«, rief er im Vorbeilaufen.
    Eva wusste, wer das Mädchen war. Innerlich fluchend machte sie kehrt und quetschte sich durch die Masse von Patienten, die versuchten, dem schrecklichen Anblick hopsender Brüste zu entkommen. Emmelines Ratte Freddy, von der ihr gezollten Anerkennung ermutigt und gleichzeitig durch die Schreie irritiert, gab sich mit ungekannter Dynamik ihrer Lieblingsbeschäftigung hin. Der Anblick einer dritten Jungmädchenbrust, die in einem Affenzahn scheinbar von rechts nach links und wieder zurückwechselte, war selbst für stark sedierte Nervenkranke zu viel. Sie hatten zwar irgendwie geahnt, dass sie nicht ganz gesund waren, aber das war einfach zu viel. Noch schlimmere Wahnvorstellungen gab es nicht.
    Als Eva endlich bei Emmeline ankam, hatte die ihre Ratte in der Jeans versteckt. Während in der Eingangshalle die blanke Hysterie ausbrach und sich in der gesamten Klinik und sogar in der geschlossenen Abteilung ausbreitete, zwängte sich Eva – Emmeline und die anderen drei Mädchen, die das Chaos genossen, hinter sich herziehend – durch die im Ausgangsbereich wütende, verstörte Menge sowie – dank ihrer Größe und Stärke – hinaus ins Freie. Als sie den Wagen erreichten, befand sich Wilt bereits drin und kauerte auf dem Rücksitz.
    »Steigt ein und verdeckt euren Vater«, befahl Eva. »Der Mann am Tor darf ihn nicht sehen.«
    Im nächsten Moment lag Wilt auf dem Boden, und die vier Mädchen knieten auf ihm. Als Eva den Motor angelassen hatte und die Auffahrt hinunterbrauste, warf sie einen Blick in den Rückspiegel und sah, wie ein derangierter Inspektor Flint aus der Kliniktür stürzte, stolperte und mit dem Gesicht nach unten auf dem Kies landete. Eva trat aufs Gaspedal, und fünf Sekunden später hatten sie das Tor hinter sich gelassen und waren unterwegs zur Oakhurst Avenue.

36
    Inspektor Flint traf völlig verwirrt in seinem Büro ein. Sein Gespräch mit Eva hatte ihn in seiner Ansicht bestärkt, dass Henry Wilt nicht für Harold Rottecombes Tod verantwortlich war, ganz gleich, in welche Bredouille er sich manövriert haben mochte. Als er auf den Kies stürzte und anschließend eine Herde hysterischer Irrer über ihn hinwegtrampelte, verlieh ihm das neue Einsichten in Wilts fatalistische Weltsicht. Den Menschen stieß manchmal ohne besonderen Grund etwas zu, und während Flint bisher geglaubt hatte, jede Wirkung beruhe auf einer rational nachvollziehbaren Ursache, wurde ihm jetzt klar, dass das rein Zufällige die Regel war. Kurzum, nichts ergab einen Sinn. Die Welt war genauso verrückt wie die Insassen der Klinik, die er soeben verlassen hatte.
    In dem Versuch, so etwas wie Gleichmut zu erlangen, befahl er Sergeant Yates, ihm die Unterlagen über den Rottecombe-Mord zu bringen, die der leitende Hauptkommissar, der das Kreuzverhör mit der ruchlosen Ruth geführt hatte, dankenswerterweise in Kopie an ihn geschickt hatte. Flint las sie durch und kam zu dem Schluss, dass Wilt keineswegs in den Tod des Schattenministers für die Verbesserung des sozialen Klimas verstrickt, sondern selbst das Opfer eines Übergriffs gewesen war. Alles deutete auf die Frau des Schattenministers. Wilts Blut in der Garage und in dem Volvo, dass sie in Ipfords New Estate gesehen und zu nachtschlafender Zeit von der Autobahnkamera festgehalten worden war sowie, Flints Ansicht nach, dass sie eine sadomasochistische Beziehung mit dem pädophil veranlagten »Schlag-mich-Bobby«-Battleby hatte, dessen Haus abgefackelt worden war. Außerdem hatte sie
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