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Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin

Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin

Titel: Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
Autoren: Ricarda Jordan
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Die Ehrwürdige Mutter thronte aufrecht auf einem hohen Stuhl am Feuer. Sie machte sich nicht die Mühe, aufzustehen, um ihre Besucher zu begrüßen, aber sie ließ immerhin ihre Stickerei, ein kostbares Altartuch, sinken.
    Im Licht des Kaminfeuers erkannte Konstanze ein hageres, längliches Gesicht mit hellen, forschenden Augen. Die Haut der Äbtissin wirkte sehr blass, aber vielleicht war das nur der Kontrast zu ihrer tiefschwarzen Ordenstracht, die lediglich durch einen weißen Rand am Schleier aufgelockert wurde.
    Die Ehrwürdige Mutter musterte Konstanze aufmerksam. Das Mädchen schien unter ihrem forschenden Blick noch kleiner zu werden, als es ohnehin war. Konstanze merkte nur zu gut, wie abschätzend die Oberin sie betrachtete, wie sie ihr zu großes, und nun auch noch von Reisestaub und Bratwurstfett beschmutztes, zerknittertes Kleid fixierte. Konstanze versuchte ungeschickt, es glattzustreichen.
    »Du willst also unseren Herrn Jesus und seine Engel sehen«, bemerkte die Äbtissin mit fragendem Unterton.
    Konstanze schüttelte den Kopf. »Nein, Frau … Edle …«
    »Mutter!«, half ihr Philipp.
    Die Oberin warf ihm einen strafenden Blick zu.
    »Ehrwürdige Mutter«, korrigierte sie.
    Konstanze holte tief Luft. »Nein, Ehrwürdige Mutter«, erklärte sie. »Ich will sie gar nicht sehen. Aber ich sehe sie. Manchmal …«
    »Du willst unseren Herrn nicht sehen?« Die Äbtissin runzelte die Stirn. »Nun, wie auch immer. Bist du sicher, Kind, dass es nicht der Teufel ist, der dich da narrt?«
    Konstanze zuckte die Schultern. »Den Teufel sehe ich auch manchmal«, gab sie zu. »Aber unser Herr zermalmt ihn unter seinen Füßen. So wie auf einigen Bildern in der Kirche.«
    »Du siehst also nur das, was du aus Bildern in der Kirche kennst!«
    Das klang triumphierend, und Konstanze war fast versucht, es einfach zu bejahen. Aber ihr Vater hatte ihr zuvor extra noch gesagt, sie dürfte die Mutter Oberin auf keinen Fall belügen, sondern sollte sie genauso achten wie den Pfarrer in der Kirche. Also schüttelte sie den Kopf.
    »Nein, Ehrwürdige Mutter. Ich … ich sehe verschiedene Bilder. Und sie bewegen sich. Also die Engel … und die Heiligen … und die Teufel.«
    »Du sagst, der Herr spricht zu dir?«, fragte die Äbtissin.
    Konstanze verneinte wieder. »Das nicht. Aber manchmal zeigt er mir Dinge. Oder die Engel …«
    »Sie hat von einem Pferd geträumt«, kam Philipp von Katzbach seiner Tochter jetzt zu Hilfe. »Einem sehr schönen Pferd. Und gleich darauf sandte der Bischof von Mainz unserem Herrn von Aubach einen wertvollen Hengst! Und sie träumte von einem gescheckten Kalb – wie weiland die Mutter Hildegard, Gott habe sie selig …«
    Hildegard von Bingen hatte ebenfalls schon als Kind Visionen gehabt, und eine der im Volk bekanntesten bezog sich auf ihre genaue Schilderung eines noch ungeborenen Kalbes.
    Konstanze hätte dazu einiges sagen können, verriet dann aber lieber nicht, dass sie damals ein weißes Pferd gesehen hatte, während der Bischof von Mainz einen Braunen sandte. Und das Kalb, das sie gesehen hatte, glich dem Bullen aufs Haar, der es gezeugt hatte. Außerdem träumte sie nicht – zumindest nicht mehr als andere Kinder. Die Visionen überkamen sie eher im Wachzustand – oft beim Spinnen oder Weben, oder wenn sie müde war und in die Flammen des Kaminfeuers starrte.
    »Es geht hier nicht um Viehzucht, Herr von Katzbach!«,bemerkte die Mutter Oberin. »Es geht um Gott und seine Engel. Das Kind behauptet, berufen zu sein. Wir werden das prüfen!«
    Philipp von Katzbach senkte den Kopf. »Das steht Euch frei, Ehrwürdige Mutter. Aber wir alle sind uns sicher, dass Konstanze wahrhaft reinen Herzens ist. Sie lügt nicht, und die Bilder, die sie sieht, sind sicher nicht des Teufels!«
    »Man wird sehen«, beschied ihn die Äbtissin. »Ihr könnt Euch jetzt von Eurer Tochter verabschieden. Aber macht nicht zu lange. Sie wird dann mit mir die Messe besuchen.«
    Konstanze sah Tränen in den Augen ihres Vaters, als er sie zum Abschied küsste. Und sie hoffte, dass sie wirklich ihr galten, und nicht dem teuren Stoff für das Kleid, das Waltraut nun wohl nicht haben würde. Schließlich machte die Mutter Oberin keine Anstalten, ihre neue Novizin einkleiden zu lassen, bevor sie das Mädchen mit in die Kirche nahm, und sie würde Philipp kaum erlauben, im Kloster zu warten.
    Konstanze seufzte. Hätte sie das nur vorausgesehen, dann wäre ihre Gabe wenigstens ein wenig nützlich gewesen!

Herler Burg
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