Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
dabei ein todsiche-
    res Gegenmittel herausspränge«, sagte Jerry. Obwohl die Schmerzen stets gleich blieben, waren sie jetzt unerträglich geworden; er hatte sich nie daran gewöhnen können, und er wußte, daß er sich, verdammt noch mal, auch nie daran gewöhnen würde. Das unwiderstehliche Verlangen, schon wieder zu duschen, überwältigte ihn. »Hey, 11
    Mann«, keuchte er und richtete sich auf, »du machst weiter damit, die Viecher in die Gläser zu tun, während ich mal eben unter die Dusche gehe, ja?« Er stürzte in Richtung Badezimmer davon.
    »Okay«, sagte Charles. Seine langen Beine zitterten, als er sich zu einem der Gläser herumdrehte, die Hände schalenartig zusammengelegt. Als Ex-Veteran hatte er seine Muskeln jedoch noch immer ganz gut unter Kontrolle; er schaffte es bis zum Glas, ohne umzukippen.
    Aber dann sagte er plötzlich: »Jerry, hey – diese Wanzen machen mich irgendwie richtig nervös. Du, mir gefällt das gar nicht, wenn ich hier so ganz alleine bin.« Er stand auf.
    »Dämlicher Arschficker«, sagte Jerry. Er lehnte sich einen Augenblick lang im Badezimmer an die Wand,
    schwer atmend vor Schmerzen.
    »Könntest du nicht …«
    »Ich muß erst ‘ne Runde duschen!« Jerry knallte die Tür zu und drehte an den Reglern der Dusche. Eine Was-serlawine rauschte herab.
    »Ich fürchte mich aber hier draußen.« Obwohl Charles Freck offenbar lauthals brüllte, drang seine Stimme nur schwach bis an Jerrys Ohren.
    »Dann hau doch ab und fick dich selbst ins Knie!«
    schrie Jerry zurück und stieg unter die Dusche. Zu was sind Freunde eigentlich gut? fragte er sich verbittert. Zu gar nichts. Scheiße noch mal, wirklich zu gar nichts.
    »Stechen diese Scheißviecher?« schrie Charles, der
    jetzt anscheinend direkt vor der Badezimmertür stand.
    »Natürlich stechen sie«, sagte Jerry, während er sich 12
    Shampoo in die Haare einmassierte.
    »Das hab’ ich befürchtet.« Eine Pause. »Du, kann ich mal reinkommen und mir die Hände waschen, damit ich sie wieder abkriege? Und kann ich dann auf dich warten?«
    Kubikscheiße, dachte Jerry voll bitteren Zorns. Er sagte nichts; er schrubbte sich nur weiter ab. Dieser Bastard war es gar nicht wert, daß man ihm eine Antwort gab …
    Er kümmerte sich nicht mehr um Charles Freck, sondern nur noch um sich selbst. Kümmerte sich nur noch um
    seine eigenen lebenswichtigen, schrecklichen, dringenden Bedürfnisse, die ihn mit Haut und Haaren in An-
    spruch nahmen. Alles andere mußte eben warten. Er hatte keine Zeit, keine Zeit; solche Dinge konnten ruhig aufge-schoben werden. Alles andere war zweitrangig. Mit Aus-nahme des Hundes vielleicht; Jerry machte sich immer noch Gedanken über Max, den Hund.

    *

    Charles Freck rief einen Typ an, von dem er hoffte, daß er einen Posten Stoff im Angebot hatte. »Kannste mir auf die schnelle zehn Ts rüberschieben?«
    »Himmel, ich sitze doch selbst auf dem trockenen –
    ich versuch’ gerade, was ranzuschaffen. Sag mir Be-
    scheid, wenn du welche auftreibst, ich könnte dringend
    ‘n bißchen Tod gebrauchen.«
    »Was ist denn mit dem Nachschub los?«
    »Schätze, die ham ‘n paar Lieferungen gekascht.«
    Charles Freck hängte ein. Während er deprimiert aus der Telefonzelle trat – kein Doper wickelte einen telefo-13
    nischen Deal über seinen eigenen Anschluß ab – und
    langsam zu seinem daneben abgestellten Chevy trottete, spulte er in seinem Kopf eine Phantasienummer ab. In dieser Phantasienummer fuhr er gerade an einer Discount- Drogerie vorbei, und die Discount- Macker hatten das ganze Schaufenster mit Langsamem Tod dekoriert: Langsamer Tod in Flaschen, Langsamer Tod in Dosen, Langsamer Tod in Gläsern und Badewannen und Botti-chen und Schüsseln, Millionen von Kapseln und Tabletten und Fixen mit Langsamem Tod, Langsamer Tod ge-mixt mit Speed und Junk und Barbituraten und psychedelischen Drogen, eben alles, was das Herz erträumt. Und über der Auslage prangte ein gigantisches Schild: HIER
    HABEN SIE KREDIT. Und vom Rest des Textes ganz
    zu schweigen: NIEDRIGE NIEDRIGE PREISE, DIE
    NIEDRIGSTEN IN DER GANZEN STADT!
    Aber in Wirklichkeit hatte die Discount- Drogerie für gewöhnlich nur nutzloses Zeug in der Auslage: Kämme, Flaschen mit ätherischen Ölen, Sprühdosen mit Deodo-rants, immer den gleichen Schund. Aber ich möchte darauf wetten, daß diese Macker in den Hinterzimmern ihrer Läden Langsamen Tod unter Verschluß halten, unge-panschten, reinen, unverfälschten, unverschnittenen Langsamen Tod,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher