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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm
Autoren: Philip K. Dick
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um beurteilen zu können, ob eine Puppe wirklich scharf war. Keine schlechte Figur, dachte er.
    Das Mädchen blieb eine Zeitlang vor einem Schaufenster stehen, in dem Lederwaren ausgestellt waren. Es schien sich für einen mit Quasten verzierten Geldbeutel zu interessieren; Charles Freck konnte verfolgen, wie die Kleine sich die Nase an der Schaufensterscheibe platt-drückte und hin und her gerissen den Geldbeutel anstarrte. Wetten, daß sie gleich reingeht und ihn sich zeigen läßt? dachte Freck.
    Im nächsten Augenblick tänzelte das Mädchen tat-
    sächlich in den Laden, ganz wie Charles Freck es erwartet hatte. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf eine andere Puppe, die jetzt den stark belebten Bürgersteig entlanggeschlendert kam. Sie trug eine gekräuselte Bluse und hatte hohe Absätze, silberne Haare und zu viel
    Make-up. Versucht, älter auszusehen, als sie ist, dachte 20
    er. Vielleicht geht sie sogar noch zur Oberschule.
    Nach dieser Puppe kam nichts mehr, was der Rede
    wert gewesen wäre. Freck machte den Bindfaden los, der die Klappe des Handschuhfachs an ihrem Platz hielt, und holte ein Päckchen Zigaretten heraus. Während er sich eine ansteckte, schaltete er mit der anderen Hand das Autoradio ein, eine Rock-Station. Früher einmal hatte er sogar einen Stereo-Cassettenrecorder besessen, aber als er eines Tages mal wieder total abgefüllt gewesen war, hatte er nicht daran gedacht, den Recorder mit ins Haus zu nehmen, als er den Wagen abschloß; bei seiner Rückkehr war das ganze Stereosystem verschwunden gewe-
    sen. Das hat man nun von seiner Schusseligkeit, hatte er gedacht. Und darum hatte er jetzt eben nur noch ein mickriges Radio. Irgendwann würden sie ihm das wohl auch noch wegnehmen. Na egal, er wußte ja, wo er praktisch umsonst ein neues Radio kriegen konnte, besser gesagt: ein gebrauchtes Radio. Im übrigen war sein Chevy sowieso praktisch reif für den Schrottplatz; die Dich-tungsringe waren porös und die Kompression im Keller.
    Wahrscheinlich hatte er ein Ventil zu Klumpatsch gefahren, als er eines Abends mit einer ganzen Ladung guten Stoffs über den Freeway nach Hause raste; manchmal, wenn er eine wirklich große Partie gemacht hatte, wurde er paranoid – nicht so sehr wegen der Bullen, sondern vielmehr, weil er befürchtete, daß andere Leute aus der Scene ihm den Stoff abklauen könnten. Irgend so ein Scenetyp, halb meschugge vor Turkey und dopegeil wie
    ‘n Weltmeister.
    In diesem Moment ging ein Mädchen vorbei, das so-
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    fort Charles Frecks Aufmerksamkeit erregte: schwarzes Haar, hübsch, und ein aufreizend langsamer Schlenderschritt. Es trug eine offene Bolerobluse und eine oft ge-waschene, weiße Baumwollhose. Hey, die kenne ich
    doch, dachte er. Das ist doch Bob Arctors Mädchen.
    Klar, das ist Donna!
    Er stieß die Wagentür auf und schwang sich aus sei-
    nem Chevy. Das Mädchen warf ihm einen kurzen, miß-
    trauischen Blick zu und ging weiter, ohne langsamer zu werden. Er folgte ihr.
    Denkt bestimmt, ich will ihr an die Wäsche, dachte
    Charles Freck, als er sich zwischen den anderen Passanten einen Weg bahnte. Wie leichtfüßig sie einen Zahn zulegte; er konnte sie jetzt kaum noch sehen, als sie jetzt einen flüchtigen Blick über die Schulter zurückwarf. Ein festes, ruhiges Gesicht … Er sah große Augen, die ihn abschätzig musterten. Bestimmt versuchte sie jetzt, seine Geschwindigkeit zu kalkulieren und festzustellen, ob er sie würde einholen können. Nicht, wenn sie weiter so ein Tempo vorlegt, dachte Charles Freck. Mann, die bewegt sich ja wie ‘ne Katze!
    An der Ecke waren die Leute stehengeblieben und
    warteten darauf, daß die Fußgängerampel GEHEN statt NICHT GEHEN anzeigte; Autos bogen mit quietschen-den Reifen nach links ab. Aber das Mädchen ging einfach weiter, schnell, aber würdevoll, und schlängelte sich zwischen den dahinschießenden Wagen hindurch. Die
    Fahrer starrten sie aufgebracht an. Sie schien die wütenden Blicke nicht einmal zu bemerken.
    »Donna!« Als das Zeichen auf GEHEN umsprang,
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    stürzte Charles Freck über die Straße hinter ihr her und holte sie ein. Trotzdem fing sie nicht an zu laufen, sondern ging nur einfach so zügig weiter wie bisher. »Bist du nicht Bobs Alte?« sagte er. Irgendwie schaffte er es, sich ihr in den Weg zu stellen, um endlich ihr Gesicht genauer mustern zu können.
    »Nein«, sagte sie. »Nein.« Sie kam auf ihn zu, kam
    genau auf ihn zu; er wich rückwärtsgehend vor ihr zu-rück, weil er plötzlich
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