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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm
Autoren: Philip K. Dick
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gleich ihm in diesem Augenblick, da alles ineinandergriff, erstarrte; als es gleich ihm in der eisigen Kälte des Begreifens gefror.
    Jede Vorwärtsbewegung hörte für ihn auf. Es gab nichts, was er nicht wußte; es gab nichts, was noch hätte geschehen können.
    »Zurück an die Arbeit, Bruce«, sagte Donald, der Direktor.
    »Ich habe es gesehen«, sagte Bruce. Er dachte: Ich ha-be es gewußt. Es ist geschehen: Ich habe gesehen, wie Substanz T wächst. Ich habe gesehen, wie der Tod aus der Erde sprießt, aus dem Boden selbst, auf einem blauen Feld, wie winzige Farbsprenkel.
    Der Farmmanager und Donald Abrahams wechselten
    einen flüchtigen Blick und schauten dann hinunter auf die kniende Gestalt, auf den knienden Mann und die
    Mors ontologica, die überall zwischen den sie verber-genden Weizenähren angepflanzt war.
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    »Zurück an die Arbeit, Bruce«, sagte der kniende
    Mann daraufhin und erhob sich auf die Füße.
    Donald und der Farmmanager schlenderten davon,
    hinüber zu ihrem geparkten Lincoln. Sie unterhielten sich miteinander; er sah zu – ohne sich umzudrehen, ohne sich umdrehen zu können –, wie sie wegfuhren.
    Dann aber bückte Bruce sich, pflückte eine der kleinen blauen Pflanzen und steckte sie in seinen rechten Schuh, um sie vor neugierigen Blicken zu verbergen. Ein Geschenk für meine Freunde, dachte er, und tief in seiner Seele, wo niemand es sehen konnte, freute er sich schon auf Thanksgiving.

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    Nachbemerkung des Verfassers

    Der dunkle Schirm erzählt die Geschichte einer Gruppe von Menschen, die für das, was sie taten, viel zu hart bestraft wurden. Eigentlich wollten sie sich nur einen guten Tag machen und ihren Spaß dabei haben, aber sie waren wie Kinder, die auf der Straße spielten; sie konnten sehen, wie einer nach dem anderen von ihnen getötet wurde
    – überfahren, verstümmelt, ausgelöscht –, aber sie spielten trotzdem weiter.
    Eine Zeitlang waren wir wirklich alle sehr glücklich.
    Wir saßen nur herum und rackerten uns nicht ab, sondern machten nur Unsinn und spielten. Aber die Zeit war so schrecklich kurz bemessen, und die Strafe, die dann folgte, überschritt alles menschliche Maß: Sogar als wir sie schon sehen konnten, vermochten wir nicht daran zu
    glauben, daß sie über uns kommen würde. Gerade, während ich das hier schreibe, habe ich zum Beispiel erfahren, daß die Person, auf der die Gestalt des Jerry Fabin basiert, Selbstmord begangen hat. Einer meiner Freunde, der für die Gestalt des Ernie Luckman Pate stand, starb schon, bevor ich den Roman anfing. Für einige Zeit war ich selbst eines dieser Kinder, die auf der Straße spielen; genau wie die anderen von ihnen versuchte ich, zu spielen, statt erwachsen zu sein, und auch ich bin dafür bestraft worden. Auch ich stehe auf der weiter unten abge-druckten Liste, die eine Aufzählung jener ist, denen ich diesen Roman gewidmet habe, und eine Auflistung dessen, was aus jedem einzelnen davon wurde.
    464
    Drogenmißbrauch ist keine Krankheit, sondern eine
    Entscheidung, vergleichbar mit der Entscheidung, vor einem heranrasenden Wagen hinaus auf die Fahrbahn zu treten. Man würde das nicht als Krankheit bezeichnen, sondern als Fehlentscheidung. Wenn eine ganze Gruppe von Menschen so zu handeln beginnt, dann wird aus der individuellen Fehlentscheidung eine gesellschaftliche –
    ein Lebensstil. Das Motto dieses speziellen Lebensstils lautet: »Sei jetzt glücklich, weil du morgen schon
    stirbst.« Aber das Sterben beginnt praktisch auf der Stelle, und das Glücklichsein ist nur eine Erinnerung. Demnach ist dieser Lebensstil eigentlich nur eine Beschleunigung, eine Intensivierung der gewöhnlichen menschlichen Existenz. Er unterscheidet sich im Prinzip nicht von Ihrem Lebensstil, er ist bloß schneller. Alles spielt sich in Wochen oder Monaten statt in Jahren ab. »Nimm das
    Bargeld und pfeif auf den Kredit«, wie Villon 1460 sagte. Aber das ist ein Fehler, wenn das Bargeld ein Penny und der Kredit ein ganzes Leben ist.
    Der dunkle Schirm hat keine Moral; er steht nicht in der Tradition des bürgerlichen Romans. Der Roman soll nicht aussagen, daß diese Menschen falsch gehandelt haben, als sie spielten, statt sich abzurackern; er beschreibt nur die Konsequenzen. Die griechische Tragödie ist ein gesellschaftlicher Reflex auf die Entdeckung der Wissenschaft, die wiederum letztlich auf dem Gesetz der Kausalität fußt.
    In diesem Roman hingegen gibt es kein Schicksal, sondern nur Nemesis, da jeder von uns sich dafür
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