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Der dunkle Punkt

Der dunkle Punkt

Titel: Der dunkle Punkt
Autoren: A. A. Fair
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aufsuchen könnten. Zwei von ihnen waren dafür, nach Hause zu gehen, während die anderen beiden beharrlich erklärten, nun beginne doch überhaupt erst der Abend. Dann war da die Gruppe der Geschäftemacher, die in der Bar neue Busenfreunde kennengelernt hatten. Offenbar kamen sie niemals auf die Idee, Adressen und Telefonnummern im Lokal auszutauschen. Diese Zeremonie erledigten sie grundsätzlich draußen auf der Straße mit viel Gelächter, Gebrüll und spaßhaften Zurufen. Der beste Witz fiel ihnen meistens erst ein, wenn die anderen fast schon außer Hörweite waren. Schließlich gab es noch die streitenden Pärchen, die sich über den weiteren Verlauf der Nacht nicht einigen konnten. Die Frauen protestierten quiekend und kichernd gegen die Zudringlichkeiten ihrer männlichen Begleiter, und bei den Ehepaaren war meistens der weibliche Partner dafür, irgendwo anders weiterzufeiem. Diese Auseinandersetzungen verliefen äußerst stürmisch und lautstark. In der Bar selbst mußte ein Klamauk herrschen, bei dem man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte, denn die Leute, die herauskamen, schrien sich an, auch wenn sie nur einen halben Meter voneinander entfernt waren.
    Bei den Bewohnern des französischen Viertels ist es Brauch, die Mülleimer abends auf den Bürgersteig zu stellen; und die späten Bummler betrachteten es offenbar als Hauptspaß, die Deckel der Mülleimer mit Fußtritten über das Pflaster zu befördern. Jeder gelungene Stoß war von anfeuerndem Rufen und lautem Grölen begleitet.
    Schließlich hatte ich genug von dem ganzen Rummel, ging zu einem Sessel, setzte mich und sah mich nachdenklich in dem matt erleuchteten Zimmer um. Hier hatte Roberta Fenn vor ungefähr drei Jahren für eine Weile gelebt. Danach war sie spurlos verschwunden, und wir - die Detektei Cool & Lam aus Los Angeles - hatten den Auftrag bekommen, sie zu suchen.
    Während ich im Dämmerlicht des Morgens schläfrig auf meinem Sessel hockte, malte ich mir aus, womit sich Roberta Fenn hier die Zeit vertrieben haben mochte. Vermutlich dürfte sie über den Radau ebenso ärgerlich gewesen sein wie ich, falls sie nicht selbst zu den Radaumachern gehört hatte. Es war anzunehmen, daß sie so manche Nacht drüben in Jack O’Learys Bar verbracht hatte. Ein Mädchen blieb in New Orleans nicht lange allein.
    Die schwüle, halbtropische Luft wirkte betäubend. Ich nickte von neuem ein. Um halb sechs wurde ich gerade wach genug, um mich zum Bett hinüberzuschleppen. Es kam mir vor, als wäre ich noch nie im Leben so hundemüde gewesen. Inzwischen hatte selbst der unentwegteste Nachtschwärmer nach Hause gefunden. Das Straßenviertel erfreute sich endlich einer kurzen Spanne des Friedens und der Ruhe. Ich schlief sofort fest ein. Gleich darauf aber jagte mich das Rasseln des Weckers wieder hoch.
    Sechs Uhr dreißig!
    Mein Kopf brummte, als hätte ich eine ausgiebige Kneiptour hinter mir gehabt. Zwanzig Minuten nach sieben sollte ich bereits Bertha Cool auf dem Bahnsteig in Empfang nehmen. Ächzend wälzte ich mich aus dem Bett.

2

    Neben Bertha Cool stand ein Mann, den ich für unseren Klienten, den Anwalt aus New York, hielt. Er war hochgewachsen, beweglich, Mitte Fünfzig und hatte abnorm lange Arme. Das Auffallendste an ihm waren seine Zähne, ein falsches Gebiß von ungewöhnlichem Ausmaß, das auch sein Gesicht außerordentlich in die Länge zog.
    Bertha Cool war es bisher gelungen, sich mittels Diät und eifrigem Training in Hochform zu halten. Seit einem Jahr wog sie nicht mehr als hundertfünfundsechzig Pfund, was bei ihr nahezu an ein Wunder grenzte. Bei ihrer neuesten Freizeitbeschäftigung, der Tiefseefischerei, hatte sie sich eine kräftige Sonnenbräune zugelegt, von der sich ihr graues Haar stark abhob. Als sie mich erblickte, kam sie mit weit ausholenden, elastischen Schritten so schnell den Bahnsteig entlang, daß der New Yorker Rechtsanwalt Mühe hatte, ihr zu folgen.
    Ich ging ihnen entgegen, um sie zu begrüßen.
    Bertha warf mir einen scharfen Blick zu und sagte mißbilligend: »Aber Donald, du siehst ja furchtbar aus! So, als hättest du dich eine Woche lang nur in Kneipen herumgetrieben!«
    »Das zeitige Aufstehen bekommt mir nicht.«
    Sie schnaubte verächtlich. »Ich mußte genauso zeitig aufstehen wie du, und seh’ ich vielleicht so aus? Das hier ist Emory Hale, Emory Garland Hale, unser Klient.«
    »Wie geht’s, Mr. Hale?« fragte ich höflich.
    Er sah auf mich herab, schüttelte mir die Hand und grinste nur
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