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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk
Autoren: Eric Ambler
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Spezialbericht an die Tribune ein Postscriptum hinzu, in dem ich die Umstände erläuterte und um meine Entlassung bat. Dieses Postscriptum veranlaßte die folgende charakteristische Antwort:
     
    STORY GROSSARTIG. KANN LEIDER KUENDIGUNG NICHT ANNEHMEN. SEIEN SIE NICHT BLOED! TEILE IXANISCHER REGIERUNG VIA WASHINGTON MIT, DASS WIR SIE SECHS MONATE AUSLEIHEN. HANSEN UEBERNIMMT UNTERDESSEN IHREN POSTEN IN PARIS. ERBITTE IHRE BERICHTE ZUM VORABDRUCK. NASH.
     
    Ich antwortete in einem langen von Herzen kommenden Dankesbrief, telegrafierte Hansen in Paris und setzte mich dann hin, um den internationalen Finanzgrößen die wirtschaftlichen Möglichkeiten Ixaniens schmackhaft zu machen.
    Etwa zwei Tage später diktierte ich eben einen Artikel über die Solidarität der öffentlichen Meinung Ixaniens und den voraussehbaren Sieg der Bauernpartei bei den bevorstehenden Wahlen, als Carruthers ins Büro geschlendert kam. Ich hatte ihn seit zwei Tagen nicht gesehen, und da ich froh war um einen Vorwand, die Arbeit zu unterbrechen, lud ich ihn zu einem Drink ein.
    Er antwortete nicht, sondern hockte sich auf die Ecke meines Schreibtisches und sog geistesabwesend an seiner ausgegangenen Pfeife. Mir fiel auf, daß er schrecklich mager geworden war und schlecht aussah, und ich sagte es ihm. Er brummte, daß ihm nichts fehle. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben.
    »Ist alles O. K.?« fragte er endlich.
    Ich versicherte ihm, daß alles prima laufe. Er nickte und begann mit dem Pfeifenstiel zu spielen. Dann sprach er, ohne mich anzusehen.
    »Ich fahre heute abend nach Paris.«
    Das war eine Überraschung für mich. Ich wußte von Beker, daß alle möglichen Anstrengungen unternommen worden waren, um den »Professor« zu veranlassen, in Ixanien zu bleiben. Ich sagte aber nichts und wartete, bis er fortfuhr.
    »Verstehen Sie«, sagte er langsam, »meine Aufgabe hierist erledigt. Es gibt für mich hier nichts mehr zu tun.« Er stand auf, und mir schien, als habe er Blei in den Beinen.
    »Ich nehme den Nachtzug.«
    »Das ist der Zug, in dem die sterblichen Überreste der Gräfin nach Belgrad überführt werden, nicht wahr?«
    Er nickte und wandte sich zum Gehen. Ich legte meine Hand auf seinen Arm.
    »Schauen Sie, Carruthers«, sagte ich, »Sie sind krank. Warum bleiben Sie nicht noch eine Weile hier, erholen sich und entscheiden dann, was Sie tun werden? Sie haben einen gewaltigen Stein im Brett bei der Regierung. Die gäben Ihnen ihr letztes Hemd, wenn Sie sie drum bäten.«
    »Sie vergessen«, antwortete er müde, »daß ich nicht Professor Barstow bin. Früher oder später werden sie das herauskriegen.«
    »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken«, versicherte ich ihm. »Gestern hat mich Beker gefragt, wer Sie denn in Wirklichkeit sind. So ganz auf den Kopf gefallen sind diese Bauern nicht. Sie glauben, daß Sie ein Sowjetagent seien. Was weiß ich, vielleicht haben sie recht. Engländer waren schon alles mögliche. So wie ich Sie kenne, werden Sie es mir nicht sagen. Ehrlich gesagt, ich hätte es schon gerne gewußt.«
    Ich verschwieg ihm, daß der Englische Konsul am gleichen Morgen versucht hatte, Carruthers Identität aus mir herauszukriegen. Später erfuhr ich, daß Carruthers mit dem Vertreter seiner Regierung in den letzten 24 Stunden Verstecken gespielt hatte.
    Es sah für einen Moment ganz so aus, als wolle er mir antworten. Doch dann hielt er inne. In seinen Augen war ein gequälter Ausdruck. Er wich meinem Blick aus.
    »Es hat keinen Sinn«, murmelte er dann. »Meine Arbeit ist getan.«
    Bevor ich ihn zurückhalten konnte, war er gegangen.
     
    Um 9 Uhr abends stand ich auf dem Bahnsteig des Zovgoroder Bahnhofs. Neben mir stand der Englische Konsul. Der Stationsvorsteher gab das Signal zur Abfahrt.
    »Sieht nicht so aus, als ob er ihn noch kriegen würde«, sagte der Konsul düster.
    Der Zug fuhr jetzt an und verschwand bald rumpelnd und ratternd unter den schwankenden Bogenlampen in der Dunkelheit. »Da kann man nichts machen«, sagte der Konsul höflich und lud mich ein, mit ihm eine Kiste Whisky anzubrechen, die er am gleichen Nachmittag aus England bekommen hatte.
    Als ich ins Hotel zurückkam, fand ich einen Brief. Er war von Carruthers. Ich las:
     
    Lieber Casey,
    es tut mir leid, aber ich habe keine Zeit mehr, Ihnen Lebewohl zu sagen. Ich habe so eine Vorahnung, als würde Ihre Neugierde wieder zum Durchbruch kommen. Einmal ein Reporter, immer ein Reporter. Ich nehme den Nachmittagszug. Machen Sie sich keine
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