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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
Autoren: Astrid Frank
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Contrade stand, deren capitano er gerade begrüßte.
    Aus den Fenstern des Palazzo Pubblico, des Rathauses, hingen bereits die Fahnen der Stadtviertel, deren Teilnahme am diesjährigen Palio schon feststand, und auf dem Campo hatten sich etliche Schaulustige versammelt, um als Erste zu erfahren, welche Fahnen neben die sieben anderen gehängt werden würden. Es waren natürlich in erster Linie Mitglieder der Contraden, die darauf hofften, gelost zu werden: Raupe, Drache, Gans, Widder, Muschel, Panther, Schnecke, Schildkröte, Giraffe und Eule. Aber Signore Morelli entdeckte auch eine kleine Gruppe von etwa einem Dutzend mutiger Männer, die schweigend Plakate hochhielten, auf denen zu lesen war, dass der Palio Tierquälerei sei und abgeschafft gehöre.
    Schnell wandte er den Blick ab, da er fürchtete, Alessandro unter den Demonstranten zu entdecken. Und das hätte seinen Blutdruck enorm in die Höhe getrieben.
    In einem feierlichen Zug verschwanden die siebzehn capitani im Rathaus, um dort gemeinsam mit dem Bürgermeister die Auslosung nach einem festen Ritual vorzunehmen: Zuerst würde der Bürgermeister aus einer ersten Urne, in der die Namen aller siebzehn Contraden enthalten waren, drei ziehen. Die capitani dieser drei waren danach berechtigt, aus einer zweiten Urne, die nur die Namen der sieben Contraden enthielt, die noch nicht am Palio teilnahmen, wiederum drei zu ziehen. Und genau diese drei durften dann am Palio teilnehmen.
     
    Jubelschreie hallten über die Piazza del Campo, als ein Bediensteter des Rathauses zunächst die in Grüntönen gestaltete Flagge der Gans aus dem Fenster hängte, dann die in Rot und Violett gehaltene Fahne des Panthers und zum Schluss die farbenfrohe des Drachen.
    Von Jubelschreien war Signore Morelli dagegen weit entfernt. Die Ziehung der Gans konnte er ja noch mit einem wohlwollenden Nicken quittieren. Anders als der capitano della torre, der im Augenblick der Nennung seines größten Feindes in wüste Beschimpfungen ausbrach und behauptete, die Ziehung ginge nicht mit rechten Dingen zu, und überhaupt müssten Linksradikale ohne Sinn für Recht und Ordnung und die wahren Werte Italiens vom Palio ausgeschlossen werden. Dass es sich bei dem capitano del’oca um einen Linksradikalen handeln sollte, war Signore Morelli neu. Allerdings wusste er durchaus, dass der capitano della torre in der Tat ein treuer Anhänger der konservativen Partei war. Aber lange hatte er auch keine Zeit, sich über diese Frage Gedanken zu machen, denn schon stand er inmitten eines wüsten Handgemenges, nachdem der capitano della torre auch noch behauptet hatte, sein Kollege von der Gans sei ihm soeben mit voller Absicht auf den Fuß getreten.
    Die Ziehung musste für einen Augenblick unterbrochen werden, bis die beiden Streithähne, die mittlerweile mit Fäusten aufeinander losgingen, getrennt werden konnten. Und während sich die Herrschaften noch die Kragen gerade rückten und die Rockschöße glattstrichen, musste nun Signore Morelli an sich halten, als er hörte, dass der Panther ebenfalls mit von der Partie sein sollte. Allerdings begnügte er sich damit, seinem Feind einen finsteren Blick zuzuwerfen und ihn ansonsten zu ignorieren, sodass ohne weitere Verzögerung das dritte Stadtviertel gezogen werden konnte: der Drache.
    Filipo Morelli war beinahe ebenso enttäuscht wie die capitani der Raupe, des Widders, der Muschel, der Schnecke, der Schildkröte, der Giraffe und der Eule, die am diesjährigen Palio nicht teilnehmen durften. Das Ergebnis der Auslosung war weit hinter seinen Hoffnungen zurückgeblieben, denn die Teilnahme des Panthers würde die Siegeschancen des Adlers deutlich verringern und das Rennen darüber hinaus für Reiter und Pferd noch gefährlicher machen. Sollte wie im letzten Jahr Danilo für den Panther antreten, dann würden die knapp hundert Sekunden auf der Piazza del Campo kein Zuckerschlecken für den Jockey des Adlers. Danilo galt als nicht gerade zimperlich beim Einsatz des Ochsenziemers, der als Reitgerte nicht nur benutzt wurde, um das eigene Pferd anzutreiben, sondern auch, um gezielte Schläge gegen die anderen fantini zu platzieren.
    Zudem wurde Signore Morelli erst jetzt bewusst, dass mit der Auslosung des Drachen einer der besten Jockeys die Chancen des Adlers zusätzlich verringerte und dass er unter diesen Umständen auch tatsächlich keine Möglichkeit mehr hatte, Angelo für seine Contrade zu verpflichten. Zwar war der Drache immerhin ein Verbündeter des
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