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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
Autoren: Astrid Frank
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dem Geruch von Kaffee und fettigem Diner-Essen klappte ich beinahe zusammen. Ich hatte gestern im Flugzeug das letzte Mal etwas gegessen – ein Päckchen Erdnüsse. Ich erhob mich. Meine Gelenke hatten sich in der kühlen Luft versteift und das Stehen tat weh. Zeit zurückzugehen.
    Der Auslöser klickte zum zweiten Mal, und als ich mich umdrehte, sah ich, dass der Typ die Kamera auf mich gerichtet hielt. Er fotografierte in rascher Folge – ich war sein Objekt. Keine Person, nein, ein Objekt, das man studierte und auf Film festhielt. Vielleicht dachte er, ich würde mich geschmeichelt fühlen. Dabei fühlte ich mich, als würde man mir Gewalt antun.
    Spontan marschierte ich auf den Jungen zu, während er weitere Fotos schoss. Er mochte größer und kräftiger sein als ich, doch meine Wut auf ihn machte das wieder wett. Als ich nur noch eine Armlänge von ihm entfernt war, griff ich nach der Kamera. Mit einem überraschten Lachen wich er aus.
    Wütend versuchte ich wieder, nach der Kamera zu schnappen, und bemühte mich, ihn dabei nicht zu berühren. Als er erneut auswich, rutschte ich auf den Steinen aus und fiel rückwärts in den Schneematsch. Der Aufprall verursachte höllische Schmerzen und ich rang nach Atem.
    Ich erwartete, er würde wieder lachen, doch er kniete sich neben mich hin. »Alles okay mit dir?«
    Meine Wut ging in Verlegenheit über, als er sich zu mir beugte und mich sorgenvoll ansah. Meine Gedanken gerieten auf Abwege. Ich hatte Unrecht gehabt, was die Narbe anging. Sie entstellte ihn kein bisschen. Jeder seiner Gesichtszüge war mit der Sorgfalt eines Meisters gewählt worden.
    »Ich wollte nicht, dass du hinfällst. Ich habe nur auf meine Kamera aufgepasst.«
    Er hielt mir eine Hand hin, und ich drehte mich panikartig weg und landete schließlich auf Händen und Knien. Die noch nicht geheilte Rippe protestierte und ich atmete keuchend. Ich schlang einen Arm um meine Mitte und sah in das erschrockene Gesicht des Jungen auf, der die Hand noch immer ausgestreckt hielt. Er hatte mir aufhelfen wollen, ohne zu wissen, dass jegliche Krankheit, an der er litt, mich umhauen konnte.
    Er wurde aus meinem Verhalten nicht schlau, und das konnte ich ihm nicht verübeln, ich benahm mich ja völlig irre. Wie ich da mit einem Arm um den Brustkorb und schlammverkrusteter Jeans im Schneematsch kniete, musste ich plötzlich lachen. Die Lippen des Jungen zuckten. Als ich mir das Haar zurückstreichen wollte, merkte ich, dass es ebenfalls voller Schlamm war, und ich prustete wieder los.
    Mein angehobener Arm lenkte seinen Blick auf meinen Hals und mir verging das Lachen, als er mit verengten Augen die Blutergüsse betrachtete, die nicht von meiner Bluse bedeckt wurden. Ich zwang mich zu einem höflichen Lächeln und stand ohne seine Hilfe auf. Er erhob sich ebenfalls und die geschmeidige Bewegung deutete auf eine Kraft hin, die im Zaum gehalten wurde. Es war nicht das erste Mal, dass mich ein Fremder nach einer von Deans Attacken musterte, und ich hasste es, bemitleidet zu werden. Ich hielt ihm eine schmutzige Hand entgegen und meinte: »Darf ich bitten?« Auf seinen verwirrten Blick hin setzte ich hinzu: »Den Film.«
    »Und wieso?«
    Meine Entrüstung brach sofort wieder durch. »Du hättest fragen müssen, bevor du mich fotografierst!«
    Einer seiner Mundwinkel verzog sich zum Anflug eines Lächelns. »Aber das ist ein öffentlicher Strand.«
    Ich wurde aus seinem Akzent nicht ganz schlau, aber vielleicht war er ja ein Tourist. Seine raue Stimme besaß die knappe Präzision der Briten, andererseits klang der Ton ein wenig kontrastlos, also eher amerikanisch. Vielleicht hielt er mich für eine Einheimische.
    »Du hättest trotzdem fragen müssen!«
    Er zuckte elegant mit den Schultern.
    Er wollte den Film nicht herausrücken. Diese Fotos könnten schließlich im Internet landen. Für jedermann zugänglich. Jemand wie er hatte ja keine Ahnung, wie es war, auf ein wehrloses Tier reduziert zu werden.
    Schluss damit, sinnlos Energien zu verschwenden, Remy! Ohne ein weiteres Wort stapfte ich davon.
    Seine tiefe Stimme folgte mir. »Das war’s? So schnell gibst du auf?«
    »Ja!«, rief ich zurück.
    »Und du willst gar nicht wissen, wieso ich dich fotografiert habe?«
    So gern ich es getan hätte, die Genugtuung gönnte ich ihm nicht. Stattdessen rief ich: »Nein!«
    Plötzlich lief er neben mir, ohne dass ich ihn kommen gehört hatte, trotz der knirschenden Muscheln und Steine unter unseren Füßen. Erschrocken
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