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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
Autoren: Astrid Frank
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Schlafzimmer angrenzte, und kämmte sich die Haare.
    »Hundert Bürstenstriche am Tag lassen dein Haar glänzen.« Das hatte ihre nonna Giuletta immer zu ihr gesagt, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Und wer wollte das nicht? Glänzendes Haar … Ob es nun an den hundert Bürstenstrichen pro Tag lag oder an etwas anderem, Marias schwarzes langes Haar glänzte jedenfalls wie frisch poliertes Ebenholz. Sie hielt ihr Gesicht nah an den Spiegel und betrachtete es eingehend. Eigentlich war sie mit dem, was sie sah, ganz zufrieden. Sie hatte eine reine Haut, große, braune, mandelförmige Augen mit langen, schwarzen Wimpern, einen vollen Mund mit schön geschwungenen roten Lippen und ausgeprägte Wangenknochen. Alles so, wie es sein sollte – wenn da nicht diese Nase gewesen wäre! Sie war nicht wirklich groß (gut, klein war sie auch nicht gerade), aber sie setzte zu weit oben an und war viel zu markant für ihr Gesicht. Maria fand, sie wirke dadurch streng und unweiblich. Natürlich wollte sie auch keine Stupsnase, die in den Himmel aufragte, aber ein kleines bisschen zierlicher hätte ihre Nase schon sein dürfen. Irgendwie passte sie nicht zum Rest. Doch Angelo sagte immer, er liebe ihre Nase, sie stünde ihr ganz hervorragend, denn sie wirke damit so »aristokratisch«.
    Angelo sagte oft witzige Dinge. Zumindest fand Maria sie witzig. Auf jeden Fall brachte er sie mit seinen Bemerkungen häufig zum Lachen. Auch jetzt musste sie bei dem Gedanken an den gestrigen Abend unwillkürlich lächeln.
    Angelo war so anders, als sie zuerst gedacht hatte. Wenn man ihn nicht kannte, wirkte er cool, unnahbar, fast schon ein wenig arrogant. Obwohl er jedem mit Freundlichkeit begegnete. Aber es war manchmal eine herablassende Freundlichkeit, die keinen Zweifel daran ließ, dass der »fliegende Engel« (Maria fand diesen Spitznamen ziemlich affig, doch Angelo gefiel er) unantastbar war. Manche nannten ihn auch »den unbestechlichen Drachen«, weil er – entgegen der Mehrzahl seiner Jockey-Kollegen – den Ruf hatte, dass man sich auf sein Wort verlassen konnte. Und dabei war er so sanft, zärtlich, warmherzig und in seiner Sehnsucht nach tiefer, aufrichtiger Liebe wirkte er fast schon ein wenig unsicher.
    Maria dachte an den Tag zurück, als sie Angelo zum ersten Mal begegnet war. Ihr Vater hatte sie miteinander bekannt gemacht, während Angelo in der Eingangshalle des Palazzo Morelli wartete, um seine damalige Freundin Antonia von ihrer Arbeitsstelle abzuholen. Bei dem Gedanken daran, dass Angelo vor ihr mit der Haushälterin zusammen gewesen war, durchfuhr Maria immer noch ein kalter Schauer. Andererseits war das jetzt schon so lange her, dass es wohl kaum noch eine Rolle spielte. Immerhin waren Angelo und sie schon seit fast anderthalb Jahren ein Paar und seit drei Monaten sogar verlobt! Und Antonia hatte sich längst mit einem anderen Mann getröstet.
    Am Anfang hatte Maria befürchtet, Antonia würde kündigen. Das hätte ihr Vater sicher nicht gutgeheißen, der der neuen Liebesbeziehung seiner Tochter ohnehin mit gemischten Gefühlen gegenüberstand. Aber Antonia hatte nicht gekündigt. Sie war jeden Tag pünktlich zur Arbeit erschienen und hatte sich, falls sie gekränkt gewesen war, zumindest nichts anmerken lassen.
    Signore Morelli war hoch erstaunt gewesen, als er dem bekannten Jockey so unerwartet in seinem eigenen Haus begegnete. Angelo war in seiner Heimatstadt Siena eine kleine Berühmtheit, nicht zuletzt deswegen, weil er im letzten Jahr den Palio gewonnen hatte. Und als capitano, der für sein Stadtviertel, den Adler, alle Fäden der Organisation des weltberühmten Pferderennens in den Händen hielt – angefangen von der Geldbeschaffung bis hin zur Auswahl des Jockeys –, kannte Signore Morelli natürlich auch fast jeden Berufsreiter. Er stellte Maria und Angelo einander vor, die sich bis dahin nie persönlich begegnet waren. Doch das sollte sich kurz darauf ändern. Denn nicht nur Marias Herz hatte schneller geschlagen, als sie Angelo die Hand reichte, auch das Herz des jungen Mannes war bei dieser ersten zaghaften Berührung ordentlich aus dem Takt geraten.
    Maria hatte sich einige Zeit von Angelo umwerben lassen. Sie kannte den Ruf des »fliegenden Engels«, der nicht nur auf dem Rücken eines Pferdes über die Erde dahinschwebte, sondern dem man auch nachsagte, dass er von einem Frauenherz zum nächsten flog.
    Aber schließlich hatte sie seinem Werben nachgegeben und sich mit ihm verabredet. Und
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