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Der Duft des Sussita

Der Duft des Sussita

Titel: Der Duft des Sussita
Autoren: Robert Scheer
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für die ZEIT und für die israelische Zeitung Haaretz .
    Ich sollte einen Artikel über die Front Catering GmbH schreiben. Diese Firma hatte die Ausschreibung für Essenslieferungen an die Front gewonnen. Ein privates Unternehmen, das von nun an das Essen der Soldaten in Kriegsgebiete liefern sollte. Als ich das erste Mal davon hörte, hatte ich das für einen Scherz meiner Kollegen gehalten.
    Warum ich kichere und lache?
    Weil es ein guter Witz ist, sagte ich zu meinen Kollegen, deswegen lache ich und deswegen kichere ich, ja, ich lache und kichere, weil ich es witzig finde, die Idee finde ich wirklich lustig.
    Es war aber kein Scherz und keine Übertreibung gewesen, sondern die nackte Wahrheit.
    Ich kicherte nicht mehr, ich lachte nicht mehr.
    Achtung: Wie gesagt, diese Geschichte ist eine wahre Geschichte. Und wie viele andere wahre Geschichten, die unvorstellbar erscheinen, ist auch diese eine unglaubliche Geschichte.
    Nun lachten meine Kollegen, und ich lachte nicht mehr.
    Die Privatisierung der Lieferung des Essens in den Krieg! Das Schreiben eines solchen Artikels konnte ich einfach nicht absagen. Natürlich flog ich sofort nach Israel.
    Truth is stranger than fiction , sagte ich mir mehrere Male auf dem Flug dorthin. Mit diesen englischen Worten hatte ich vor, meinen Aufsatz zu beginnen.
    Diese Worte wiederholten sich als Endlosschleife in meinem Kopf, mein Kopf wurde schwer. Dann wurde mir schwindlig, auch wegen der Instabilität des Flugzeuges, das abenteuerlich in einem Sturmwind tanzte.
    War es das Ende?
    Mein Ende?
    Einige religiöse Menschen beteten ungeheuer laut. Dann leise. Sie wiegten sich mit Kopf und Oberkörper vor und zurück. Diese monotone Wiederholung schien die Menschen in einen höheren Zustand der Konzentration zu versetzen, eine Art Meditation.
    Mit geschlossenen Augen und kompromissloser Entschlossenheit bewegten sie sich rhythmisch, vor und zurück in ihren Sitzen, Sitze, die Tausende von Kilometern von der Erde entfernt waren, wir alle flogen ja mit dieser Eisenmaschine in der turbulenten Luft, die Menschen, schwarz gekleidet, waren alle vertieft in ihr Schaukeln und Murmeln heiliger Verse.
    Sie wollten vielleicht vergessen, wo sie waren, wo wir alle waren, wir alle fühlten die unmittelbare Gefahr, man konnte sie riechen und spüren, wir alle wussten, wie klein wir wirklich sind, nichts als Staub. Nur Menschen, nicht mehr und nicht weniger.
    Unverständlich sprachen sie biblische Sätze vor sich hin, die schwarz gekleideten Menschen beteten, sie beteten, als wären es Zaubersprüche und Lebensretter, als wären diese beschwörenden Worte und Sätze in unseren Zeiten noch absolut gültig, nicht im Geringsten veraltet. Und die schwarzen Männer beteten weiter, tiefer und tiefer verbeugten sie sich vor dem Allmächtigen in den Wolken des Himmels, die Wörter flossen wie Honig von den Mündern der Männer mit Bärten und Kippa, dann geschah es. Das Flugzeug sank urplötzlich nach unten, verlor an Höhe und Stabilität, Rütteln, Dröhnen, das Flugzeug schien zu zerbersten, dies verursachte naturgemäß Schreien und Weinen. Und noch lauteres Beten. Schma Israel, höre Israel.
    Die jüdische Art zu beten, sagte ich mir. Sie, die schwarz gekleideten Menschen, vergaßen sich völlig im Beten. Jetzt mehr als vorher. Noch mehr als vorher. Auf der Schwelle der endgültigen Eskalation. Sie sehen wie Pinguine aus, kam mir in den Sinn. Pinguine, Pinguine, sagte ich ein paarmal mit schwitzenden Händen vor mich hin.
    Schma Israel, adonai elohejnu … adonai … echad … So beteten sie.
    Neben mir saß eine alte Nonne, auf ihren Brüsten lag ein großes Kreuz, ihre Hände spielten nervös mit einem Rosenkranz.
    Vater unser im Himmel, sprach die Nonne lauter und lauter. Die Nonne und die Juden beteten. Alle beteten. Zusammen betete das ganze Flugzeug, mal auf Deutsch, mal auf Hebräisch, mal auf Latein.
    Jetzt stürzen wir, sagte die Nonne mit einem Mal, jetzt sterben wir, hilf uns, lieber Herr. Und sie meinte nicht mich. Sie meinte mit Herr nicht mich, obwohl ich derjenige war, der neben ihr saß. Sonst niemand.
    Jetzt stürzen wir, jetzt sterben wir.
    Vater unser im Himmel …  salve regina  … lieber Herr … jetzt stürzen wir … jetzt sterben wir …
    Mir wurde übel, so übel, wie mir noch niemals zuvor gewesen war.
    Die Angst der Menschen wurde allgegenwärtig, trotz der vernünftigen Erklärungen und wiederholten Beruhigungen des Piloten. Nur er schien eine ruhige Stimme
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