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Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Titel: Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
Autoren: Rütten & Loening Verlag <Potsdam>
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wenn ihn nicht die Fische vorher auffressen!« Die Spitzenhändlerin lachte böse über ihren Einfall.
    Prudy seufzte. Ihr ältester Bruder war vor einigen Wochen verhaftet worden, nachdem er beim Entwenden eines Hafersackes ertappt worden war. Gleich am nächsten Tag hatte man ihn zum Tod durch den Strang verurteilt. Sein Freund, der den Diebstahl mit ihm zusammen begangen hatte, war begnadigt worden, es hieß, er warte darauf, als Zwangsarbeiter in die Kolonien verschifft zu werden. Wegen der französischen Seeblockade gelang es nur wenigen Schiffen, auf den überwachten Seefahrtsrouten Schlupflöcher zu finden. Napoleons Plan war aufgegangen – der Schiffsverkehr mit dem Rest der Welt war weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Schiffe warteten in britischen Häfen, manchmal viele Wochen lang, bis sich herumsprach, dass wieder jemand eine halbwegs sichere Route nach Süden gefunden hatte.
    Penelope rieb sich verstohlen die triefende Nase. Die Geschichte von Prudys Bruder beschäftigte sie immer noch. In düsteren Worten hatte Madam Harcotte von den Gefängnisschiffen unten am Kai berichtet – sie lagen gleich neben den Galgen, die man die dreibeinigen Stuten nannte. Neben den drei hölzernen Beinen war der Gehängte das vierte Bein. Beinahe täglich wurden Diebe und Verbrecher aufgehängt, doch noch immer waren die Gefängnisse überfüllt, daher war man auf den Gedanken gekommen, Schiffe in Gefängnisse umzuwandeln. In beinahe allen großen britischen Häfen gab es riesige Schiffe mit schweren Segeln, die den Himmel verdüsterten. In Ketten gelegte Gefangene pferchte man an Bord und schickte sie dann auf die Reise – doch nicht weiter als bis hinter den Horizont. Mit so viel Schlechtigkeit an Bord konnte so ein Schiff ja nur untergehen, davon war Madam Harcotte überzeugt. Und wenn diese Schiffe doch nicht sanken, dann segelten sie dem französischen Wichtigtuer in die Arme, der sie mit Kanonen beschoss und zur Hölle schickte.
    Prudy hatte den ganzen Tag geweint, doch niemand hatte sie getröstet. Trost musste man sich leisten können.
     
    »Du kommst spät«, stellte Mary MacFadden fest, ohne sich nach ihrer Tochter umzublicken. Penelope drückte schuldbewusst den Riegel in die Halterung und zog die Schleife ihres Umhangs auf. Der Haken an der Wand sprang hin und her, als sie den Umhang aufhängen wollte. Das Kleidungsstück fiel auf den Boden …
    »Pass doch auf, Kind!«, zischte Mary verärgert. »Über deine Ungeschicklichkeit zerreißen sich schon die Leute das Maul!«
    Fröstelnd zog Penelope die Schultern zusammen. »Ichhab für die alte Lou Kohlen getragen«, murmelte sie, in der Hoffnung, die Mutter würde das als Entschuldigung akzeptieren. Lou wohnte mit ihrem räudigen Hund in einem Verschlag hinter dem Schweinestall. Penelope wusste, dass sie Essen aus den Schweinetrögen stahl, um sich und den Hund satt zu machen. Der Hund teilte ihr Lager und hielt sie warm, und vermutlich beschützte er sie auch. Sein Maul war so furchteinflößend, dass wohl niemand wagte, die alte Frau ins Armenhaus zu schaffen. Das Essen aus dem Schweinetrog, behauptete Lou, sei viel besser als der Fraß im Armenhaus. Würde man sie beim Diebstahl an den Trögen erwischen, würde man sie aufhängen.
    »Der Strang ist ein gnädigerer Nachbar als der Hunger«, pflegte Lou zu murmeln, wenn Penelope sie um Vorsicht bat, und manchmal hatte es den Anschein, dass sie es geradezu darauf anlegte, erwischt zu werden.
    »Lou Herriot hat einen Enkel, der ihr Kohlen tragen kann. Sie braucht meine Tochter nicht.« Mary kannte kein Mitleid. In Southwark gab es keinen Platz für Mitleid. Wer aus dem Haus trat und bis zu den Knöcheln in Unrat versank, hatte nur Augen für sich selbst. Southwark schrieb seine heimlichen Gesetze selber – und eines davon lautete: Schau dich nicht um – überlebe!
    Der Hunger trieb den Leuten das Mitleid aus. Nicht einmal die Priester glaubten noch, was sie in den Gottesdiensten erzählten, rissen sich doch ihre eigenen hungrigen Kinder die Brotkanten aus den Händen. Penelope hatte es selbst gesehen, als sie ein geflicktes Spitzenband bei Reverend Arnold ablieferte. Der Geistliche hatte wie so oft seinen Kirchenlohn im Rumkeller der Schenke gelassen, während sein hohlwangiges Weib versuchte, die Kinder mit Gebeten ruhigzustellen. Auch der Topf mit den Kirchengeldernwar leer, weswegen Penelope das Band wieder in Madam Harcottes Werkstatt zurückgetragen hatte, denn Ware gab es auch für Priester nur gegen
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