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Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Titel: Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
Autoren: Rütten & Loening Verlag <Potsdam>
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an ihn – es war Schmerz und Last zugleich und hatte doch dafür gesorgt, dass sie am Leben geblieben war.
    Nein, dachte sie, du bist nicht wie er. Er war stark und tapfer. Er hatte einen Glauben und ein Rückgrat. Trotzdem nahm sie ihre Tochter in die Arme, sie ertrug die Tränen nicht.
    »Schick mich nicht weg«, flüsterte Penelope und presste ihren Kopf gegen die Brust der Mutter, die diese schon seit Jahren in kein Mieder mehr presste, weil der Druck sie peinigte. Sie verschränkte ihre Arme hinter Marys Rücken, als wolle sie sie nie wieder loslassen.
    »Schick mich nicht weg …« Die Stimme versagte Penelope, als sie spürte, wie Mary sie auf den Kopf küsste und leise »nein« sagte.
    Ein eiskalter Windhauch fuhr unter der Tür hindurch, und der liebevolle Moment verging so schnell, wie er gekommen war.
    Mary befreite sich aus der Umarmung. »Ich war heute in Belgravia«, sagte sie.
    Ihre hageren Züge verhärteten sich. Die Falten zwischen Wangen und Nase wirkten wie zwei schwarze Striche, die sich über der Nasenwurzel in einem düsteren Punkt trafen. Manchmal wurde der Punkt größer. Auf Penelope wirkte er wie ein drittes Auge. Mit diesem Auge sah die Mutter Dinge, die andere nicht sahen – davon war sie überzeugt.
    »Eine Dienstmagd ist in Nöten. Das Mädchen gebar eine Missgeburt.« Mary verzog die Lippen und sparte sich weitere Beschreibungen. Vielleicht hatte das Kind keinen Kopf gehabt oder drei Arme, vielleicht war es auch nur ein rohes Fleischbündel gewesen. Von solchen Geburten erzählte sie manchmal vor dem Einschlafen im gemeinsamen Bett. Als ob sie ihr Grauen schnell noch dem Tag anvertrauen wollte, um in Ruhe in die Nacht gehen zu können. Dann aber geisterten die Geschichten zwischen den Decken herum. Die Mutter schlief, und Penelope lag wach und kämpfte mit den Bildern.
    »Sie wäre fast gestorben, aber die Lady wollte keinen Arzt rufen.«
    Penelope wusste den Grund. Mit dem Arzt wäre auch der Priester gekommen und mit ihm neugierige Fragen, vielleicht eine Vernehmung, weil die Kindbetterin ja teuflischste Gedanken gehabt haben musste – sonst hätte sie einnormales Kind zur Welt gebracht. Die Missgeburt musste furchtbar ausgesehen habe, folgerte Penelope.
    »Es … es war also tot?«
    Mary nickte. »Die Missgeburt kam tot zur Welt. Wir haben sie in den Kamin …« Sie schwieg, drehte sich um und rührte erneut im Wäschetopf, um die Erinnerung an den Gestank von verbranntem Fleisch zu vertreiben. Knochen konnte man nicht ganz verbrennen. Wenn das Feuer heruntergebrannt war, lagen sie weiß schimmernd in der Asche. Sie fragte sich, was die Lady wohl damit angestellt haben mochte.
    Mit einer geschickten Bewegung zog Mary ihren Wäschetopf von der Platte – der Rest der Glut würde so eben ausreichen, um die Brotsuppe von gestern zu erhitzen und vielleicht ein Fladenbrot zu backen. Das heiße Waschwasser wärmte in einer Kupferblase ihr gemeinsames Lager. Mit ihrer Geschichte war sie noch nicht fertig. Der Besuch, der so schwierig begonnen hatte, war nämlich gut geendet, wie sie fand.
    »Die Lady sucht nun eine geschickte Näherin«, erklärte sie Penelope. »Ihr Mädchen fieberte schon vor der Geburt, sie wird das vermutlich nicht überleben. Ich habe der Lady gesagt, dass du in ihr Haus kommst und zeigst, was du kannst.«
    Mary schaute über ihre Schulter und zog seufzend die Brauen hoch, als sie die weit aufgerissenen Augen der Tochter sah. Dann machte sie sich daran, mit dem Holzlöffel die Hemden aus der heißen Waschbrühe zu ziehen, abzuwickeln und auszuwringen, obwohl das heiße Wasser ihre Hände aufschwemmte, dunkelrot färbte und beinahe gefühllos machte. Der Schmerz deckte sich über jenen harten Schmerz in ihrer Brust und betäubte ihn einfach. Daswar es, was das Mädchen lernen musste: die Zähne zusammenbeißen und nach vorne schauen.
    Sie wusste, dass Penelope sich oft fürchtete, doch so kam man nicht durchs Leben. Es war richtig, sie fortzuschicken.
     
    Der Eiswind zog am Morgen von der Themse herauf durch die Gassen und traktierte das graue Volk, das mit vom Hunger hohlen Wangen auf dem Weg zur Arbeit war – zur Brauerei, zur Weberei und in die vielen kleineren Arbeitshäuser in Southwarks stinkenden Hinterhöfen. Diejenigen, die auf der Straße nach London Bridge unterwegs waren, marschierten etwas aufrechter. Sie verdienten ihre Schillinge auf der anderen Seite der Themse, wo das Brot ein wenig heller und die Kleider farbenfroher waren.
    Für Penelope war es
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