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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse
Autoren: Jared Diamond
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aufwiesen, vor allem die Beherrschung des Feuers und den Gebrauch von Werkzeugen. Aber das hätte den au-ßerirdischen Besucher wohl nicht mehr beeindruckt als das erstaunliche Verhalten von Bibern und Laubenvö-geln. Innerhalb einiger zehntausend Jahre – eines für einen einzelnen Menschen unendlich lang erscheinen­den, aber gemessen an unserer Stammesgeschichte sehr kurzen Zeitraums – waren jene Eigenschaften zum Vor­schein gekommen, die den Menschen so einzigartig, aber auch anfällig machen.
    Welches waren jene wenigen Ingredienzen, die uns zu Menschen werden ließen? Da unsere Besonderheiten erst so kürzlich auftraten und mit so geringfügigen Ver-änderungen einhergingen, müssen sie oder zumindest Vorläufer von ihnen bereits im Tierreich vorhanden ge­wesen sein. Welches waren also die tierischen Vorläufer von Kunst und Sprache, Völkermord und Drogensucht ?
    Unser derzeitiger biologischer Erfolg als Spezies be­ruht auf besonderen Merkmalen des Menschen. Von den größeren Tierarten ist keine andere auf allen Konti­nenten heimisch oder bevölkert sämtliche Lebensräume, von der Wüste und dem Polargebiet bis zum tropischen Regenwald. Kein größeres Wildtier kann es zahlenmä-ßig mit uns aufnehmen. Doch zu unseren Besonderhei­ten gehören auch zwei, die unser Überleben in Frage stellen : der Hang zum gegenseitigen Töten und zur Zer­störung der Umwelt. Beides kommt auch bei anderen Arten vor : Löwen und viele andere Tiere töten Angehö-rige der eigenen Art, und Elefanten trampeln die Vege­tation nieder. Doch beim Menschen nimmt die Bedro­hung ein viel größeres Ausmaß an – wegen unserer tech­nologischen Potenz und der Explosion unserer Zahl.
    Schon oft wurde der Weltuntergang für den Fall pro­phezeit, daß wir keine Einsicht zeigten und uns nicht zur Umkehr entschlössen. Neu ist daran heute, daß die Vor­hersage aus zwei Gründen wahrscheinlich eintrifft . Er­stens gibt es Atomwaffen, mit denen die Menschheit erst­mals in ihrer Geschichte ein Mittel zur völligen Selbstv­crnichtung besitzt. Und zweitens eignen wir uns bereits 40 Prozent der Nettoproduktivität der Erde (d. h. der aus der Sonneneinstrahlung gewonnenen Nettoenergie) an. Da sich die Weltbevölkerung zur Zeit im Rhythmus von 41 Jahren verdoppelt, werden die biologischen Grenzen des Wachstums bald erreicht sein. Kriege um die be­grenzten Ressourcen unseres Planeten erscheinen dann unausweichlich. Zudem werden bei anhaltendem Tem­po der Artenausrottung im Laufe des nächsten Jahrhun­derts die meisten Pflanzen- und Tierarten ausgestorben oder vom Aussterben bedroht sein – und das, obwohl wir viele dringend zum eigenen Überleben brauchen.
    Warum soll man diese ebenso bekannten wie depri­mierenden Fakten immer wiederholen ? Und welchen Nutzen hat es, die tierischen Ursprünge der destrukti­ven Eigenschaften des Menschen zurückzuverfolgen? Wenn sie tatsächlich Teil unseres evolutionären Erbes sind, dann heißt das doch nicht daß sie genetisch festge­legt und also unveränderlich sind?
    Doch in Wirklichkeit ist unsere Lage nicht hoffnungslos. Uns mag ja der Drang zum Töten von Fremden und Geschlechtsrivalen angeboren sein. Aber dennoch haben menschliche Gesellschaften immer wieder – und nicht ohne Erfolg – den Versuch unternommen, diese Instink­te unter Kontrolle zu bekommen und die meisten Men­schen vor der Ermordung zu bewahren. Selbst wenn man die beiden Weltkriege mitberücksichtigt, sind im 20. Jahr­hundert in den Industrieländern im Verhältnis viel weni­ger Menschen durch Gewalt ums Leben gekommen als in steinzeitlichen Stammesgesellschaften. In vielen moder­nen Bevölkerungen ist die Lebenserwartung deutlich hö-her als in der Vergangenheit. Umweltschützer verlieren auch nicht mehr jeden Kampf gegen Vertreter des Fort­schritts um jeden Preis. Selbst eine Reihe von Erbkrank­heiten, wie das Fölling-Syndrom und die Kinderdiabetes, können heute behandelt oder geheilt werden.
    Wenn ich auf die drohenden Gefahren hinweise, möchte ich deshalb nur dazu beitragen, daß wir Fehler nicht wiederholen, sondern aus der Vergangenheit ler­nen und unser Verhalten korrigieren. Diese Hoffnung steht auch hinter der Widmung am Anfang des Buches. Meine Zwillingssöhne sind Jahrgang 1987 und werden im Jahre 2044 so alt sein wie ich jetzt. Was wir heute tun, wird ihre Welt bestimmen.
    Es geht mir in diesem Buch nicht um bestimmte Lö-sungsvorschläge. Es ist ja ohnehin ziemlich klar, was al­les geschehen
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