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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse
Autoren: Jared Diamond
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weitgehend ab­geschlossen war, blieben die Steinwerkzeuge noch Hun­derttausende von Jahren äußerst primitiv. Noch vor 40 000 Jahren hatten die Neandertaler Gehirne, die grö-ßer waren als die des modernen Menschen, doch ihre Werkzeuge zeigten keine Spur von Neuerungen und auch keinerlei kunstvolle Verzierungen. Die Neanderta­ler waren immer noch eine Säugetierart wie viele ande­re. Bei anderen menschlichen Populationen blieben die Werkzeuge auch Zehntausende von Jahren nach Errei­chen einer modernen Skelettanatomie so langweilig wie bei den Neandertalern.
    Diese paradoxen Erkenntnisse werfen mehr Licht auf die Aussagen der Molekularbiologie und deren Schluß-folgerungen. Es muß also innerhalb des geringen Pro­zentsatzes von Genen, durch die sich Mensch und Schimpanse unterscheiden, einen noch geringeren Pro­zentsatz geben, der nicht an der Formung des Skeletts beteiligt ist, sondern für die unverwechselbar mensch­lichen Merkmale wie Innovationsfähigkeit, Kunst und die Anfertigung komplexer Werkzeuge verantwortlich ist. Zumindest in Europa traten diese Merkmale uner­wartet plötzlich auf den Plan, zu einer Zeit, als der Ne­andertaler dem Cro-Magnon weichen mußte. Dessen Erscheinen läutete das Ende der Epoche ein, in der wir noch eine Säugetierart unter vielen waren. Am Schluß von Teil I werde ich einige Überlegungen dazu anstel­len, welche wenigen Veränderungen die Auslöser unse­res steilen Aufstiegs zum Menschentum gewesen sein mögen.

Kapitel 1
Die Geschichte von den drei Schimpansen
    Wenn Sie das nächste Mal in den Zoo gehen, schauen Sie einmal ganz bewußt bei den Affenkäfigen vorbei. Stellen Sie sich vor, die Affen hätten fast ihr ganzes Haar verlo­ren und in einem Nachbarkäfig befänden sich einige be­dauerliche, nackte Menschen, die zwar nicht sprechen könnten, aber ansonsten ganz normal wären. Nun ra­ten Sie einmal, wie ähnlich uns die Affen genetisch sind. Würden Sie zum Beispiel vermuten, daß ein Schimpanse 10, 50 oder 99 Prozent seiner Gene mit dem Menschen teilt ?
    Und fragen Sie sich dann, warum Affen in Käfigen zur Schau gestellt und zu medizinischen Experimenten be­nutzt werden, was beides bei Menschen unzulässig ist. Angenommen, es stellte sich heraus, daß Schimpansen 99,9 Prozent ihrer Gene mit uns gemeinsam hätten und die bedeutenden Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen auf ganz wenigen Genen beruhten – wür­den Sie es dann immer noch für gerechtfertigt halten, Schimpansen in Käfige zu sperren und an ihnen Expe­rimente vorzunehmen ? Denken Sie zum Vergleich an Menschen, die das Unglück hatten, geistig behindert zur Welt zu kommen. Von ihnen besitzen manche eine viel geringere Fähigkeit als Affen, Probleme zu lösen, für sich zu sorgen, zu kommunizieren, soziale Beziehungen einzugehen und Schmerz zu empfinden. Nach welcher Logik sind medizinische Experimente an ihnen verbo­ten, aber nicht an Affen?
    Vielleicht werden Sie entgegnen, Affen seien eben »Tie­re« und Menschen eben Menschen, und das reiche aus. Ein ethischer Verhaltenskodex für die Behandlung von Menschen solle nicht auf ein »Tier« übertragen werden, gleich, wieviel Prozent seiner Gene mit unseren über­einstimmen, und gleich, ob es soziale Beziehungen ein­gehen oder Schmerz empfinden kann. Eine solche Ant­wort entbehrt zwar nicht der Willkür, aber sie ist zu­mindest in sich stimmig und nicht leicht von der Hand zu weisen. In diesem Fall blieben Erkenntnisse über un­sere Beziehungen zu Vorfahren ohne ethische Folgen, sie würden aber immerhin unsere geistige Neugierde befriedigen, indem sie uns ein Verständnis unserer Her­kunft vermittelten. Alle bisherigen Gesellschaften haben das Bedürfnis verspürt, die eigene Herkunft zu ergrün­den, ein Bedürfnis, das in Schöpfungsgeschichten Aus­druck fand. Betrachten Sie die Geschichte von den drei Schimpansen als Schöpfungsgeschichte unseres Zeital­ters.
    Seit Jahrhunderten ist bekannt, wo der Mensch im Tier­reich ungefähr anzusiedeln ist. Ohne Zweifel gehören wir zu den Säugetieren, der Klasse von Wirbeltieren, zu deren Merkmalen die Behaarung und das Stillen der Jungen zählen. Innerhalb der Säugetiere wiederum ge­hören wir ganz offensichtlich wie die Affen und Men­schenaffen zu den Primaten. Mit diesen teilen wir eine ganze Reihe von Eigenschaften, die den meisten anderen Säugetieren fehlen, zum Beispiel flache Finger- und Fuß-nägel statt Klauen, Greifhände, ein Daumen, der den an­deren vier Fingern
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