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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse
Autoren: Jared Diamond
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Aufschluß zu erhalten, eben­falls enttäuscht, da für den entscheidenden Zeitraum vor fünf bis 14 Millionen Jahren in Afrika kaum Fossilien von Menschenaffen gefunden wurden.
    Die Antwort auf diese Fragen nach unserer Herkunft kam aus unerwarteter Richtung, nämlich aus der Mo­lekularbiologie in ihrer Anwendung auf die Klassifika­tion von Vögeln (Vogeltaxonomie). Vor rund 30 Jahren erkannten Molekularbiologen, daß die Stoffe, aus denen sich Pflanzen und Tiere zusammensetzen, wie eine Uhr zur Messung genetischer Abstände und zum Datieren evolutionsgeschichtlicher Abzweigungen dienen könn­ten. Dahinter steckt folgender Gedanke : Angenommen, es gibt eine Klasse von Molekülen, die in allen Arten vorkommen und deren genaue Struktur bei jeder Art ge­netisch festgelegt ist, und weiter angenommen, daß sich die genannte Struktur im Laufe der Jahrmillionen auf­grund genetischer Mutationen langsam verändert und daß das Tempo dieser Veränderung bei allen Arten kon­stant ist. Zwei vom gleichen Ahnen abstammende Arten hätten zunächst identische, von ihrem Vorfahr geerbte Molekülformen. Später würde es jedoch bei beiden un­abhängig voneinander zu Mutationen und folglich Ver-änderungen im Molekülaufbau kommen. Wüßten wir nun, wie viele solcher Veränderungen im Durchschnitt alle Million Jahre erfolgen, so könnten wir die heuti­ge Differenz zwischen den Strukturen des Moleküls bei zwei verwandten Tierarten wie eine Uhr benutzen und ausrechnen, wieviel Zeit vergangen ist, seit der gemein­same Ahne beider Arten lebte.
    Nehmen wir beispielsweise an, wir wüßten aufgrund von Fossilienfunden, daß Löwen und Tiger vor fünf Mil­lionen Jahren begannen, sich auseinanderzuentwickeln. Angenommen, die Moleküle wären bei Löwen und Ti­gern zu 99 Prozent von identischer Struktur und nur zu einem Prozent unterschiedlich. Betrachtete man dann zwei Arten mit unbekannter fossiler Geschichte und fände heraus, daß sich die Moleküle dieser beiden Arten um drei Prozent unterschieden, dann würde die Mole­kularuhr besagen, sie hätten sich vor drei mal fünf Mil­lionen Jahren, also vor 15 Millionen Jahren, auseinan­derentwickelt.
    So schön dieses Schema auf dem Papier aussieht, so­viel Mühe mußten Biologen investieren, um seine prak­tische Brauchbarkeit zu testen. Vier Dinge mußten ge­schehen, bevor Molekularuhren funktionieren konnten : Es mußte das am besten geeignete Molekül gefunden werden ; eine rasche Methode zur Messung von Verän­derungen in seiner Struktur wurde benötigt ; der Beweis für den gleichmäßigen Gang der Uhr mußte erbracht werden (daß sich also die Struktur des Moleküls bei al­len untersuchten Arten tatsächlich im gleichen Tempo entwickelt) ; und es mußte ebendieses Tempo bestimmt werden.
    Für die ersten beiden Punkte haben Molekularbiolo­gen um 1970 Lösungen gefunden. Als geeignetstes Mole­kül erwies sich die Desoxyribonukleinsäure (abgekürzt DNS), jene berühmte Substanz, deren Struktur den bahnbrechenden Untersuchungen von James Watson und Francis Crick zufolge aus einer Doppelhelix besteht. Die DNS setzt sich aus zwei komplementären, sehr lan­gen Strängen zusammen, von denen jeder aus vier Arten kleinerer Moleküle besteht, deren Sequenz sämtliche von den Eltern an ihre Nachkommen weitergegebenen genetischen Informationen beinhaltet. Eine schnelle Me­thode zur Messung von Veränderungen der DNS-Struk­tur besteht darin, die DNS zweier Arten zu vermischen (man spricht deshalb von der Hybridisierungstechnik) und festzustellen, um wieviel Grad der Schmelzpunkt der Misch-DNS unter dem Schmelzpunkt der reinen DNS einer der beiden Arten liegt. Wie sich herausstellte, bedeutet das Sinken des Schmelzpunktes um ein Grad Celsius (abgekürzt : Delta T = 1 °C), daß sich die beiden Arten in der DNS um etwa ein Prozent unterscheiden.
    In den siebziger Jahren interessierten sich die meisten Molekularbiologen und Taxonomen kaum für das je­weils andere Arbeitsfeld. Zu den wenigen Taxonomen, die von den Möglichkeiten der neuen DNS-Hybridisie­rungstechnik überzeugt waren, gehörte der Ornithologe Charles Sibley, damals Professor an der Yale-Universi­tät und Leiter des dortigen naturgeschichtlichen Muse­ums. Die Vogeltaxonomie ist ein besonders schwieriges Fachgebiet, bedingt durch die engen anatomischen Er­fordernisse der Flugfähigkeit. Es gibt nur eine begrenz­te Zahl möglicher Konstruktionen, die einem Vogel bei­spielsweise den Insektenfang in der Luft
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