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Der dritte Mond

Der dritte Mond

Titel: Der dritte Mond
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht. Wieso holen sie ihre Schiffe zurück und lassen die Piloten sterben?« »Keine Ahnung«, antwortete Skudder in einem Tonfall, der kaum Zweifel daran aufkommen ließ, daß ihn diese Frage nicht im geringsten interessierte. »Immerhin wissen wir eins: Sie sind Menschen.« Charity fand nicht, daß das eine sehr beruhigende Erkenntnis war. Ganz im Gegenteil. Ihr wäre eine zwei Meter große Ameise beinahe lieber gewesen als ein menschlicher Gegner, der Laserschüsse ebenso verkraftete wie großkalibrige MG-162 Geschosse. Auf jeden Fall wäre die Ameise ihr weit weniger unheimlich gewesen. »Das ist… seltsam«, murmelte sie. »Was?« Charity deutete auf das mumifizierte Gesicht. »Irgend etwas daran kommt mir bekannt vor«, sagte sie. »Ich wußte gar nicht, daß du mit Zombies verkehrst.« »Ich meine es ernst«, sagte Charity. »Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich…« Sie versuchte sich vorzustellen, wie dieses Gesicht, dieser Mann zu Lebzeiten ausgesehen haben mußte. Sehr groß, vermutlich sehr kräftig, gutaussehend. Wie… »Nein«, sagte sie. »Das ist unmöglich.« »Was?« fragte Skudder. Um ein Haar hätte Charity ihren Verdacht laut ausgesprochen, dann aber schüttelte sie nur den Kopf und sagte mit veränderter Stimme: »Ach, nichts. Mach ein paar Aufnahmen. Wir jagen sie zuhause durch den Computer. Vielleicht kann er das Gesicht rekonstruieren.« »Und wir haben etwas, um alle unsere Freunde zu vergraulen«, pflichtete Skudder ihr bei. »Falls einer auf die Idee kommt, einen lustigen Diaabend zu machen.« Trotzdem zog er den Fotoapparat hervor und machte in rascher Folge ein halbes Dutzend Aufnahmen, bevor er sich wieder aufrichtete und weiterging. Charity folgte ihm, sah aber nach einigen Schritten noch einmal zu dem Toten zurück. Es war unmöglich. Es durfte nicht sein. Wenn der verrückte Gedanke, der ihr für einen Moment durch den Kopf geschossen war, Wahrheit wäre, dann wäre alles umsonst gewesen. Sie härten nicht einmal die Spur einer Chance.
    Charity und Skudder brauchten noch gute zwanzig Minuten, um die Halle zur Gänze zu durchqueren. Sie sprachen während dieser Zeit sehr wenig. Eine sonderbare, schwer in Worte zu fassende Stimmung hatte von Charity Besitz ergriffen; irgend etwas zwischen Melancholie, Resignation und Trotz. Jeder Schritt, den sie taten, schien Charity deutlicher als der vorherige klar zu machen, wie aussichtslos ihr Unternehmen war. Schon die reine Größe dieses unheimlichen Gebildes ließ jeden Gedanken daran, es zerstören oder auch nur erforschen zu wollen, schlichtweg lächerlich erscheinen. Sie waren weniger als Ameisen, die in den Eingeweiden eines Dinosauriers herumkrochen. Endlich erreichten sie die Wand des gewaltigen Hangars. Sie hatten gute hundert oder mehr Schiffswracks passiert, und die Anzahl fremdartiger, zum Teil bizarrer Konstruktionen war im gleichen Maße gestiegen, in dem sie vorankamen. Skudders Kamera war fast ununterbrochen im Einsatz gewesen, aber sie hatten darauf verzichtet, die Wracks eingehender zu untersuchen. Sämtliche Wissenschaftler der Erde würden sie für dieses Versäumnis massakrieren, aber sie waren schließlich nicht auf einer Forschungsreise. Sie waren hier, um das Rätsel dieses Schiffes zu lösen. Und es möglicherweise zu zerstören. Dieser Gedanke stimmte Charity traurig. Vermutlich blieb ihnen keine andere Wahl, wenn sie die Erde vor einer neuerlichen Versklavung oder auch der völligen Zerstörung bewahren wollten, aber das machte es nicht besser. Was immer dieses Schiff wirklich war, es war etwas Erhabenes, fast Heiliges, vielleicht die großartigste Schöpfung, die das Leben im Universum jemals hervorgebracht hatte. Niemand hatte das Recht, es zu töten. »Hast du vielleicht eine Idee, wie diese verdammte Tür aufgeht?« drang Skudders Stimme in ihre Gedanken. »Ich meine, falls es eine Tür ist.« Sie waren vor einer sonderbaren Struktur stehengeblieben, die mit einiger Fantasie tatsächlich ein Durchgang sein konnte. Oder aber auch nicht. Gleichwie: Es gab nichts, was auch nur entfernt an einen Öffnungsmechanismus erinnerte. Oder das entsprechende Organ. Charity musterte die drei Meter hohe Hautfalte nachdenklich – und ohne allzu großes Interesse. Sie begriff die Gefahr, in der sie schwebte: Die seltsame Stimmung, die von ihr Besitz ergriffen hatte, machte es ihr immer schwerer, sich auf den eigentlichen Grund ihres Hierseins zu konzentrieren. »Keine Ahnung«, sagte sie
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