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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron
Autoren: Tad Williams
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er mit dem Besen herumwedelte – aber welcher Trottel hängte auch eine Pferderüstung in die Wandelhalle des Pfarrers? Unnötig zu erwähnen, dass es gewaltig schepperte und Simon jede Sekunde damit rechnete, dass der dürre, rachsüchtige Vater Dreosan herunterkommen würde.
    Hastig machte sich Simon daran, die schmuddligen Panzerplatten aufzusammeln, von denen einige aus den Lederriemen gerissen waren, welche die Rüstung zusammenhielten. Dabei dachte er über einen anderen von Rachels Grundsätzen nach: Für leere Hände findet der Teufel schon eine Arbeit. Das war natürlich töricht und erbitterte ihn. Schließlich waren es nicht die Leere seiner Hände oder die Müßigkeit seiner Gedanken, die ihn in Schwierigkeiten brachten. Nein, es waren vielmehr sein Tun und Denken, die ihm immer wieder ein Bein stellten. Wenn sie ihn nur in Ruhe lassen wollten!
    Vater Dreosan war immer noch nicht aufgetaucht, als Simonendlich alle Teile der Rüstung auf einen wackligen Haufen geschichtet und diesen dann eilig unter die Kante eines Tischbehangs geschoben hatte. Dabei hätte er fast noch den auf dem Tisch stehenden goldenen Reliquienbehälter umgeworfen. Aber endlich war, ohne weiteres Missgeschick, die verräterische Rüstung außer Sicht, und nur ein blasser Fleck an der Wand deutete noch darauf hin, dass es überhaupt jemals eine solche Rüstung gegeben hatte. Simon ergriff seinen Besen und schabte damit eifrig über den rußigen Stein, um die Ränder zu verwischen, damit der helle Fleck nicht so auffiel. Dann rannte er weiter den Gang hinunter und an der Wendeltreppe zur Chorempore hinaus ins Freie.
    Als er von neuem den Heckengarten erreichte, aus dem ihn der Drache gerade so grausam entführt hatte, hielt Simon einen Augenblick inne, um den stechenden Geruch von grünem Laub einzuatmen und so die letzten Reste des Talgseifengestanks aus seiner Nase zu vertreiben. Ein ungewöhnliches Gebilde in den oberen Zweigen der Festeiche zog seinen Blick auf sich. Der Baum am entfernten Ende des Gartens war uralt, knorrig und hatte derart ineinandergewachsene Äste, dass er aussah, als wäre er jahrhundertelang unter einem riesigen Scheffelkorb weitergewachsen. Simon kniff die Augen zusammen und hob die Hand gegen das schräg einfallende Sonnenlicht. Ein Vogelnest! Und so spät im Jahr!
    Es war knapp. Schon hatte er den Besen fallen gelassen und war mehrere Schritte in den Garten hineingelaufen, als ihm einfiel, dass er ja mit einem Auftrag zu Morgenes geschickt worden war. Keine andere Aufgabe hätte Simon daran gehindert, in einer Sekunde auf dem Baum zu sein, aber ein Besuch beim Doktor war eine besondere Vergünstigung, selbst wenn er mit Arbeit verbunden war. Simon nahm sich vor, das Nest nicht lange unerforscht zu lassen, und setzte seinen Weg fort, zwischen den Hecken hindurch und in den Hof vor dem Inneren Zwingertor.
    Zwei Gestalten hatten soeben das Tor durchschritten und kamen auf ihn zu; die eine langsam und kurzbeinig, die andere noch langsamer und noch kurzbeiniger. Es waren Jakob der Wachszieher und sein Gehilfe Jeremias. Letzterer trug einen großen, schwer aussehenden Sack über der Schulter und bewegte sich, soweit dasüberhaupt möglich war, noch träger als sonst. Simon rief ihnen im Vorbeilaufen einen Gruß zu. Jakob lächelte und winkte.
    »Rachel will neue Kerzen für den Speisesaal«, rief der Wachszieher, »also bekommt sie Kerzen!« Jeremias machte eine saure Miene.
    Ein kurzer Trab den grasigen Abhang hinunter brachte Simon an das massive Torhaus. Über den Zinnen hinter ihm schwelte noch ein Splitter Nachmittagssonne, und die Schatten der Banner auf der Westmauer huschten wie dunkle Fische über das Gras. Der rotweiß uniformierte Wächter, kaum älter als Simon, lächelte, als der Meisterspion vorüberjagte, in der Hand den tödlichen Besen, das Haupt gesenkt für den Fall, dass die Tyrannin Rachel zufällig aus einem der hohen Turmfenster blicken sollte.
    Sobald Simon unter dem Fallgitter durch und im Schatten der hohen Tormauer allen Blicken entzogen war, verlangsamte er seinen Schritt wieder. Der unbestimmte Schatten des Engelsturms überbrückte den Burggraben; die verzerrte Silhouette des grünen Engels, der auf seiner Turmspitze triumphierte, lag am äußersten Rand des Wassers in einer Lache aus Feuer.
    Wenn er schon hier war, entschied Simon, konnte er genauso gut ein paar Frösche fangen. Es würde nicht allzu lange dauern, und der Doktor konnte sie meist gut gebrauchen. Es würde nicht
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