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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron
Autoren: Tad Williams
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ein Turnierplatz war, wenn auch weitaus schmaler. Im orangefarbenen Licht, das durch die lange Reihe kleiner Fenster zum Hof hereinsickerte, spähte Simon nach dem hintersten Ende des Raumes und stellte fest, dass er große Mühe haben würde, es von der Tür aus, in der er stand, mit einem Stein zu treffen.
    Aber dieser merkwürdige Dehneffekt war ihm durchaus vertraut. Tatsächlich sah das ganze Zimmer trotz der angsteinflößenden Geräusche eigentlich aus wie immer – so als hätte eine Horde geistesgestörter Krämer ihre Verkaufstische aufgebaut und dann mitten in einem wilden Sturmwind jäh die Flucht ergriffen. Der große Refektoriumstisch, der sich über die ganze Länge der einen Wand ausdehnte, war übersät mit Rillenglasröhren, Kästen und Tuchbeutelnmit Pulvern und stechenden Salzen sowie mit komplizierten Konstruktionen aus Holz und Metall, an denen Retorten und Phiolen und andere undefinierbare Behälter hingen. Den Mittelpunkt des Tisches bildete eine gewaltige Messingkugel, aus deren glänzender Oberfläche winzige, abgewinkelte Ausgusstüllen hervorragten. Sie schien in einer Schüssel mit silbriger Flüssigkeit zu schwimmen, und Schüssel und Kugel balancierten auf der Spitze eines Dreifußes aus geschnitztem Elfenbein. Den Tüllen entströmte Dampf, und der Messingball drehte sich langsam um sich selbst.
    Auf Fußboden und Wandregalen wimmelte es von noch seltsameren Dingen. Polierte Steinblöcke, Kehrbesen und lederne Schwingen lagen auf den steinernen Platten verstreut und machten sich mit Tierkäfigen, teils leer, teils besetzt, den Platz streitig, mit Metallgerüsten voller zerrupfter Pelze oder nicht zusammenpassender Federn unbekannter Geschöpfe, mit Platten aus scheinbar klarem Kristall, die sich an den mit Gobelins verzierten Wänden stapelten … und mit Büchern, überall mit Büchern – halb geöffnet fallen gelassene oder hier und da im Zimmer aufgestellte Bücher, die wie riesenhafte, plumpe Schmetterlinge aussahen.
    Es gab auch Glaskugeln mit farbigen Flüssigkeiten, die, ohne dass sie erhitzt wurden, vor sich hinblubberten, und eine flache Schachtel mit glitzerndem schwarzem Sand, der sich unaufhörlich neu formte, als fegten ihn unmerkliche Wüstenwinde. Von Zeit zu Zeit würgten hölzerne Wandschränkchen bemalte Holzvögel hervor, die unverschämt piepten und wieder verschwanden. Daneben hingen Karten von Ländern mit gänzlich fremdartiger Geografie – wobei Geografie zugegebenermaßen ein Gebiet war, auf dem sich Simon ohnehin nicht sonderlich sicher fühlte. Alles in allem war die Höhle des Doktors ein Paradies für einen wissbegierigen jungen Mann … ganz ohne Zweifel der wunderbarste Ort in ganz Osten Ard.
    Morgenes war inzwischen am anderen Ende des Raumes unter einer schlaff herabhängenden Sternkarte auf und ab gewandert. Sie verband die hellen Himmelspunkte durch eine gemalte Linie, sodass die Gestalt eines seltsamen Vogels mit vier Flügeln entstand. Mit einem kleinen triumphierenden Pfiff beugte der Doktor sich plötzlich nach unten und fing an zu graben wie ein Eichhörnchen imFrühling. Hinter ihm erhob sich ein Schneegestöber aus Schriftrollen, bunt bemalten Lappen, Miniaturgeschirr und winzigen Pokalen, die offenbar vom Abendbrottisch irgendeines Zwergen stammten. Endlich richtete er sich wieder auf, wuchtete einen großen Kasten mit Glaswänden in die Höhe, watete zum Tisch, stellte den Glaswürfel hin und griff sich, offenbar wahllos, von einem Gestell ein Flaschenpaar.
    Die Flüssigkeit in der einen hatte die Farbe des Sonnenuntergangs draußen; sie schmauchte wie ein Weihrauchfässchen. Die andere Flasche war mit etwas Blauem und Zähflüssigem gefüllt, das, als Morgenes die beiden Flaschen umdrehte, ganz, ganz langsam in den Kasten rann. Als sie sich vermischten, wurden die beiden Flüssigkeiten so klar wie Bergluft. Der Doktor breitete seine Arme aus wie ein fahrender Künstler. Einen Augenblick herrschte Stille.
    »Frösche?«, fragte er dann und wedelte mit den Fingern. Simon sprang herbei und zog die beiden Tiere, die in seinen Manteltaschen steckten, hervor. Der Doktor ergriff sie und warf sie mit schwungvoller Gebärde in das Aquarium. Die beiden verblüfften Amphibien plumpsten in die durchsichtige Flüssigkeit, sanken langsam auf den Grund und begannen dann energisch in ihrem neuen Heim umherzuschwimmen. Simon lachte erstaunt und erheitert.
    »Ist das Wasser?«
    Der alte Mann drehte sich um und blickte ihn mit hellen Augen an. »Mehr oder
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