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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron
Autoren: Tad Williams
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schmalen Hand über die Augen.
    »Kennst du die Geschichte dieser Klinge?«, fragte er.
    Strupp sah mit scharfem Blick zu ihm auf; er hatte die Geschichte viele Male gehört.
    »Erzählt sie mir, o König«, erwiderte er ruhig.
    Johan der Priester lächelte, ließ aber den lederumwundenen Griff vor sich nicht aus den Augen. »Ein Schwert, kleiner Freund, ist die Verlängerung der rechten Hand eines Mannes … und der Endpunkt seines Herzens.« Er hob die Klinge höher, bis sich ein Lichtschimmeraus einem der winzigen, hohen Fenster darin fing. »Genauso ist der Mensch die gute rechte Hand Gottes – er ist der Scharfrichter von Gottes Herz. Verstehst du?«
    Jäh beugte er sich hinab, die Augen unter buschigen Brauen vogelblank. »Weißt du, was das ist?« Seine zitternden Finger deuteten auf ein Stückchen krummes, rostiges Metall, das mit Golddraht im Heft des Schwertes befestigt war.
    »Sagt es mir, Herr.« Strupp wusste es ganz genau.
    »Das ist der einzige Nagel des wahren Richtbaumes, den es in Osten Ard noch gibt.« Johan der Priester führte den Schwertgriff an die Lippen und küsste ihn. Dann hielt er das kühle Metall an die Wange. »Dieser Nagel stammt aus der Handfläche von Usires Ädon, unserem Erlöser … aus seiner Hand …« Die Augen des Königs, in die von oben ein seltsames Halblicht fiel, waren feurige Spiegel.
    »Und dann ist da natürlich auch die Reliquie«, fügte er nach einem Augenblick des Schweigens hinzu, »der Fingerknochen Sankt Eahilstans des Gemarterten, des vom Drachen Getöteten, genau hier im Griff …«
    Wieder eine Pause der Stille. Als Strupp aufblickte, hatte sein Gebieter von neuem angefangen zu weinen.
    »Pfui, pfui über alles!«, stöhnte Johan. »Wie kann ich mich der Ehre Gottes würdig erweisen, wenn immer noch so viel Sünde, solch schwere Sündenlast, meine Seele befleckt? Ach, der Arm, der einst den Drachen erschlug, kann heute kaum noch die Milchtasse heben, geschweige denn das Schwert des Herrn. Ich sterbe, mein lieber Strupp, ich sterbe!«
    Der Narr beugte sich vor, löste eine der knochigen Königshände vom Schwertgriff und küsste sie. Der alte König schluchzte.
    »Ich bitte Euch, Gebieter«, flehte Strupp. »Weint doch nicht mehr! Alle Menschen müssen sterben – Ihr, ich, jedermann. Bringen uns nicht jugendliche Torheit oder ein Missgeschick zu Tode, so ist es unser Schicksal, dahinzuleben wie die Bäume, älter und älter zu werden, bis wir endlich schwanken und stürzen. So geht es mit allen Dingen. Wie könnt Ihr Euch dem Willen des Herrn widersetzen?«
    »Aber ich habe dieses Reich gegründet !« Johan Presbyter erfüllte bebender Zorn, als er die Hand aus dem Griff des Narren riss undsie jäh auf die Armlehne des Thrones fallen ließ. »Das muss jeden Sündenfleck auf meiner Seele aufwiegen, so schwarz er auch sein mag! Ganz gewiss wird der Gute Gott das in seinem Rechnungsbuch stehen haben! Ich zog diese Menschen aus dem Schlamm, geißelte die verfluchten, heimtückischen Sithi aus dem Land, gab den Bauern Recht und Gesetz … das Gute, das ich getan habe, muss schwer wiegen.« Seine Stimme wurde vorübergehend schwächer, als wanderten seine Gedanken in die Ferne.
    »Ach, mein alter Freund«, meinte er endlich mit bitterer Stimme, »und jetzt kann ich nicht einmal mehr die Mittelgasse bis zum Marktplatz hinuntergehen! Im Bett muss ich liegen oder mich am Arm jüngerer Männer durch dieses kalte Schloss schleppen. Mein … mein Reich liegt verfaulend auf der Streu, während vor meiner Schlafzimmertür die Diener flüstern und auf Zehenspitzen gehen! Alles in Sünde!«
    Die Worte des Königs hallten von den Steinwänden des Saales wider und zerfielen langsam zwischen den tanzenden Staubkörnchen.
    Strupp ergriff von neuem die Hand des Herrschers und drückte sie, bis der König seine Fassung wiedergewonnen hatte.
    »Nun gut«, bemerkte Johan der Priester nach einiger Zeit, »wenigstens wird mein Elias mit festerer Hand regieren, als ich es jetzt kann. Als ich heute sah, wie hier alles verfällt«, er machte eine Handbewegung, die den ganzen Thronsaal umfasste, »habe ich beschlossen, ihn aus Meremund zurückzurufen. Er muss sich darauf vorbereiten, die Krone zu übernehmen.« Der König seufzte. »Wahrscheinlich sollte ich dieses weibische Geflenne einstellen und dankbar sein, dass ich habe, was viele Könige nicht haben: einen starken Sohn, der mein Reich zusammenhält, wenn ich nicht mehr bin.«
    » Zwei starke Söhne, Herr.«
    »Pah!« Der König
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