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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron
Autoren: Tad Williams
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geschwungen wie ein wahrer Krieger, Seoman Schneelocke.«
    »Ich …« Er holte unsicher Atem und versuchte es noch einmal. Das Sprechen verursachte ihm Schmerzen im Gesicht. »Ich glaube nicht … dass ich das war. Dorn … hat mich benutzt. Es wollte gerettet werden … glaube ich. Das mag töricht klingen, aber …«
    »Nein. Ich denke, dass du recht haben könntest. Schau dort.« Jiriki deutete nach der wenige Fuß entfernten Höhlenwand. Auf dem Mantel des Sithiprinzen lag Dorn wie auf einem Kissen, schwarz und fern wie der Boden eines Brunnens. War es möglich, dass es in seiner Hand lebendig geworden war? »Es ließ sich ganz leicht hierhertragen«, fügte Jiriki hinzu, »vielleicht wollte es in diese Richtung.«
    Diese Worte setzten in Simons Kopf ein langsames Gedankenrad in Bewegung.
    Das Schwert wollte hierherkommen – aber was ist hier? Und wie sind wir … O Mutter Gottes, der Drache!
    »Jiriki!«, keuchte er. »Die anderen! Wo sind die anderen?«
    Der Prinz nickte sanft. »Ich hatte gehofft, ich könnte damit warten, aber ich sehe ein, dass es nicht geht.« Er schloss eine Sekunde die großen, hellen Augen.
    »An’nai und Grimmric sind tot. Sie sind auf dem Berg Urmsheim begraben.« Er seufzte und bewegte die Hände in einer komplizierten Gebärde. »Du weißt nicht, was es bedeutet, einen Sterblichen undeinen Sitha zusammen zu bestatten, Seoman. Es ist nur selten vorgekommen, und seit fünf Jahrhunderten überhaupt nicht mehr. An’nais Taten werden im Tanz der Jahre, den Annalen unseres Volkes, weiterleben bis ans Ende der Welt, und so wird auch Grimmrics Name weiterleben. Sie werden auf ewig miteinander unter dem Udunbaum liegen.« Jiriki schloss die Augen und saß eine Weile schweigend da. »Die anderen … nun, sie leben.«
    Simon fühlte, wie die Trauer ihn ergriff, aber er verschob alle Gedanken an die beiden Gefallenen auf später. Er starrte an die mit Asche bemalte Decke und sah, dass die Linien dünne Zeichnungen von Riesenschlangen und Tieren mit Stoßzähnen darstellten und sich über die gesamte Decke und alle Wände zogen. Die leeren Augen der Geschöpfe machten ihn nervös; wenn er zu lange hinschaute, schienen sie sich zu bewegen. Er wandte sich wieder dem Sitha zu.
    »Wo ist Binabik?«, fragte er. »Ich möchte gern mit ihm sprechen. Ich hatte einen ganz sonderbaren Traum … einen ganz sonderbaren Traum …«
    Noch ehe Jiriki antworten konnte, steckte Haestan den Kopf durch den Höhleneingang. »Der König will nicht mit uns reden«, verkündete er. Dann sah er Simon. »Du bist ja wach, Junge!«, krähte er. »Wunderbar!«
    »Was denn für ein König?«, fragte Simon verwirrt. »Doch nicht etwa Elias?«
    »Nein, Junge.« Haestan schüttelte den Kopf. »Nach … nach dem, was da oben am Berg geschah, fanden uns die Trolle. Du hast ein paar Tage geschlafen. Wir sind jetzt auf dem Mintahoq – dem Trollberg.«
    »Und Binabik ist bei seiner Familie?«
    »Nicht ganz.« Haestan warf Jiriki einen Blick zu. Der Sitha nickte. »Binabik – und Sludig – hat der König gefangen genommen. Manche sagen sogar, zum Tode verurteilt.«
    »Was? Gefangen?«, fuhr Simon auf und sackte sofort wieder auf sein Lager, als sich ein grausamer Schmerz in seinem Kopf meldete. »Warum?«
    »Sludig, weil er ein verhasster Rimmersmann ist«, erklärte Jiriki.»Und Binabik soll ein schreckliches Verbrechen gegen den Trollkönig begangen haben. Wir wissen noch nicht, was es ist, Seoman Schneelocke.«
    Simon schüttelte verdutzt den Kopf. »Das ist Wahnsinn. Ich muss verrückt geworden sein – oder noch träumen.« Er sah vorwurfsvoll auf Jiriki. »Und weshalb nennt Ihr mich immer bei diesem Namen?«
    »Warte …«, begann Haestan. Aber Jiriki achtete nicht darauf, sondern zog unter seiner Jacke den Spiegel hervor. Simon setzte sich auf und griff danach. Die feine Schnitzerei des Rahmens fühlte sich rauh unter seinen empfindlichen Fingern an. Vor der Höhle heulte der Wind, und unter dem Türvorhang wehte kalte Luft ins Innere.
    War denn inzwischen die ganze Welt mit Eis bedeckt? Würde er dem Winter jemals wieder entkommen?
    Unter anderen Umständen hätte ihm der dichte, rotgoldene Bart, der jetzt überall in seinem Gesicht zu wachsen begann, große Freude gemacht; aber in diesem Augenblick sah er nur die lange Narbe, die vom Kinn die Wange hinauf und am linken Auge vorbeilief. Die Haut um sie herum war ganz blass und sah frisch aus. Er strich darüber, zuckte zusammen und tastete dann mit den Fingern nach
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