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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron
Autoren: Tad Williams
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fort. Josuas Untertanen erwarteten ihn, frierend und verängstigt, heimatlos im wilden Weldhelm. Er senkte einen Augenblick, vor Müdigkeit oder weil er betete, den Kopf, dann führte er sie hinein ins Dunkle.

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Blut und die wirbelnde Welt

    as schwarze Drachenblut hatte sich über Simon ergossen und gebrannt wie Feuer. Im Augenblick der Berührung hatte er gefühlt, wie sein eigenes Leben in den Hintergrund gedrängt wurde. Die furchtbare Essenz durchdrang ihn, versengte seinen Geist und ließ nur Drachenleben übrig. Es war, als sei er selber – in jenem schwindenden Augenblick, bevor sich das Dunkel über ihm zusammenschloss – zum geheimen Herzen des Lindwurmes geworden.
    Igjarjuks schwelend langsames und kompliziertes Leben nahm ihn gefangen. Er wuchs. Er veränderte sich, und die Verwandlung war schmerzhaft wie Tod oder Geburt.
    Seine Knochen wurden schwer, fest wie Stein und zugleich reptilienhaft biegsam. Seine Haut verhärtete sich zu Schuppen, und er fühlte Pelz über seinen Rücken gleiten wie ein Panzerhemd aus Diamanten.
    Machtvoll strömte das Herzblut des Drachen in seiner Brust, gewichtig wie die Bahn eines dunklen Sternes in der leeren Nacht, stark und heiß wie die Schmiedefeuer der Erde selbst. Seine Klauen gruben sich in die steinerne Haut der Welt, und sein uraltes Herz pochte … und pochte … und pochte … Spröde, uralte Klugheit des Drachengeschlechts füllte ihn aus.
    Als Erstes fühlte er die Geburt seiner Rasse in den Kindertagen der Erde, dann die Last unzählbarer Jahre, die ihn niederdrückte, dunkler Jahrtausende, die an ihm vorbeirauschten wie ein schäumender Fluss. Er gehörte einer der ältesten aller Rassen an, war einer der Erstgeborenen der abkühlenden Erde, und doch lag er zusammengerollt unter der Oberfläche der Erde wie ein winziger Wurm unter der Schale eines Apfels …
    Das alte schwarze Blut durchbrauste ihn. Immer noch wuchs er und erkannte und benannte alle Dinge auf der wirbelnden Welt. Die Haut der Erdewurde seine eigene – die wimmelnde Oberfläche, auf der alles Lebende geboren wurde, auf der es kämpfte und unterlag, sich schließlich ergab, um wieder ein Teil von ihm zu werden. Ihre Knochen waren seine Knochen, die Felssäulen, auf denen alles ruhte und durch die er jedes zitternde, atmende Lebewesen fühlte.
    Er war Simon. Und er war die Schlange. Und trotzdem auch die Erde selbst in ihrer Unendlichkeit und jeder Einzelheit. Und immer noch wuchs er und spürte im Wachsen, wie ihm sein sterbliches Leben entglitt …
    In seiner majestätischen Einsamkeit fürchtete er, alles zu verlieren, und er griff nach denen, die er gekannt hatte, um sie zu berühren. Er konnte ihr warmes Leben fühlen, sie spüren wie Funken in einer gewaltigen, windigen Schwärze. So viele Leben – so wichtig, so klein …
    Er sah Rachel – gebückt, alt. Sie saß in einem leeren Zimmer auf einem Schemel, den grauen Kopf in den Händen. Wann war sie so klein geworden? Vor ihren Füßen lag ein Besen, daneben ein säuberliches Staubhäufchen. Der Raum in der Burg wurde schnell dunkler.
    Prinz Josua stand auf einem Berghang und schaute hinab. Ein schwaches, flammendrotes Licht färbte sein grimmiges Gesicht. Er konnte Josuas Zweifel und seinen Schmerz erkennen; er wollte ihn berühren und trösten, aber er durfte diese Leben nur sehen, nicht anfassen.
    Ein kleiner, brauner Mann, den er nicht kannte, stakte sein Flachboot einen Fluss hinauf. Große Bäume ließen ihre Äste ins Wasser hängen, Wolken von Mücken schwebten in der Luft. Der kleine Mann strich schützend über ein Pergamentbündel, das in seinem Gürtel steckte. Eine Brise strich durch die herabhängenden Zweige, und der kleine Mann lächelte dankbar.
    Ein großer Mann – Isgrimnur? Aber wo war sein Bart? – ging auf einem von Wind und Wetter verzogenen Landungssteg auf und ab und starrte auf den sich verfinsternden Himmel und den windgepeitschten Ozean hinaus.
    Ein schöner Greis, das lange, weiße Haar wirr, saß da und spielte mit einem Rudel halb nackter Kinder. Seine blauen Augen blickten mild und fern. Sie waren von Lachfältchen umgeben.
    Miriamel, mit kurz geschnittenen Haaren, schaute von der Reling eines Schiffes nach den dichten Wolken, die sich am Horizont auftürmten. Über ihrem Kopf knatterten und wogten die Segel. Er wollte ihr länger zusehen, aber die Erscheinung wirbelte davon wie ein fallendes Blatt.
    Eine hochgewachsene Hernystiri, schwarz gekleidet, kniete in einem Hain aus schlanken Birken vor
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