Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)
Autoren: Bastian Sick
Vom Netzwerk:
sondern »Wir sind umgezogen«; denn der Umzug wirkt sich auf die Gegenwart aus, der Wohnortwechsel bleibt bis auf weiteres aktuell.
    Weil also die erste Vergangenheit – im Unterschied zum Perfekt – aus Sicht des Erzählers eine abgeschlossene Handlung beschreibt, bevorzugt die deutsche Grammatik dafür den Ausdruck »Präteritum«. Der kommt aus dem Lateinischen und heißt nicht »unvollendet«, sondern schlicht und einfach »vergangen«. Einigen Romanisten (wie zum Beispiel mir) fällt es allerdings schwer, sich vom Begriff »Imperfekt« zu lösen. Ich bitte um Nachsicht und gelobe Besserung.
    In der gesprochenen Sprache wird das Präteritum heute nur noch selten gebraucht. Kaum jemand sagt im Gespräch: »Ich ging allein nach Hause«, sondern drückt es mit dem Perfekt aus: »Ich bin allein nach Hause gegangen.« Wenn das Präteritum in der gesprochenen Sprache zum Einsatz kommt, dann meistens in Verbindung mit Modal- und Hilfsverben wie haben, sein, müssen, können, brauchen, dürfen :

Ich hatte keine Zeit.
Das war letzten Donnerstag.
Wir mussten nicht lange warten.
Das konntet ihr nicht wissen.
    Aus einigen süddeutschen Dialekten ist das Präteritum sogar völlig verschwunden, dort bedient man sich allein des Perfekts.

Dem Wahn Sinn eine Lücke
    Party Service, Video Spiele, Grill Imbiss, Garten Center – in der Welt da draußen gibt es alles, was das Herz begehrt. Nur keine Verbindlichkeit mehr. Im Drang nach Internationalität zerfällt unsere Mutter Sprache zusehends in ihre Einzel Teile. Ein Traktat über depperte Leer Zeichen und unerträgliche Wort Spalterei.
    Da stehe ich nun in diesem Laden, den man unter normalen Umständen als Stehcafé bezeichnen würde, und starre betroffen auf meinen Milchkaffee. Der Laden selbst nennt sich »Steh Café«, in zwei Wörtern. Steh – gähnende Leere – Café. Ich habe versucht, mir einzureden, dass da früher mal ein Bindestrich war, der heruntergefallen ist. So etwas kommt ja vor. So wie auch Neonbuchstaben von Hotels und Geschäften gelegentlich mal ausfallen und man dann nur noch »OTEL« oder »OUTIQUE« liest und rasch weitergeht. Aber da war kein Bindestrich. Das »Steh Café« ist nie ein »Steh-Café« gewesen. Den Beweis liefert die Getränkekarte. Was da vor mir auf dem Tisch steht, ist laut Karte nämlich gar kein Milchkaffee, sondern ein »Milch Kaffee«. Dabei wird auf einem kleinen Zettel im Schaufenster sogar noch eine »Tassekaffee« angeboten.
    Ganz offensichtlich hat der Besitzer des Ladens ein Problem mit der Zusammen- und Getrenntschreibung. Und er ist bei weitem nicht der Einzige. Unsere Städte sind gepflastert mit zerrissenen Begriffen wie »Auto Wäsche«, »Kosmetik Studio« und »Kunden Parkplatz«. Ganz zu schweigen von den neuerdings überall zu findenden »Back Shops«, die ausländischen Touristen immer wieder Rätsel aufgeben: Was soll das sein – ein rückwärtiges Geschäft, ein Hinterladen?
    Ursprung dieses Auseinanderschreibungswahns ist die englische Sprache. Für Briten und US-Amerikaner ist es selbstverständlich, dass »service center«, »car wash« und »book store« jeweils in zwei Wörtern geschrieben werden. In Deutschland, Österreich und der Schweiz (und natürlich auch in Liechtenstein, immer vergesse ich Liechtenstein!) gelten andere Regeln als die englischen. Thank God! Doch die Sehnsucht nach internationalem Flair scheint übermächtig. So sägten in den letzten Jahren immer mehr Gewerbetreibende frei nach Wilhelm Busch gar nicht träge mit der Säge – Ritzeratze! – voller Tücke in die Wörter eine Lücke. Dass unsere Sprache vom Verfall bedroht sei, ist eine bekannte Behauptung. Inzwischen scheint sie außerdem vom Zerfall bedroht.
    Bereits im November 2002 ereiferte sich ein Kollege im »Spiegel« über Schilder mit der Aufschrift »Küchen Zentrum«, »Grill Imbiss« oder »Schuh Markt«. Und wackere Mitstreiter wie Philipp Oelwein haben im Internet ganze Galerien von »Schreckens Bildern« zusammengetragen. Die berechtigte Empörung über das »Deppen Leer Zeichen« vermochte seine Ausbreitung bislang nicht aufzuhalten – im Gegenteil: Inzwischen ist es in sämtliche Bereiche der deutschen Sprache vorgedrungen.
    In einer spektakulären Werbeaktion verwandelte die Telekom das Brandenburger Tor vorübergehend in ein »Sport Portal«. Welch eine Tor Heit! Und die Tele Kom befindet sich in großer Gesellschaft: Die Lebensmittelindustrie produziert »Vollkorn Müsli«, »Würfel Zucker« und »Milch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher