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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)
Autoren: Bastian Sick
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ausschließlich der Dativ:

Der Wind peitschte mir (nicht: mich) ins Gesicht.
Die Sonne stach ihm (nicht: ihn) in die Augen.
    Beim Verb »küssen« (das ja ebenfalls eine körperliche Berührung bezeichnet) steht die geküsste Person im Dativ, wenn der geküsste Körperteil im Akkusativ steht, und sie steht im Akkusativ, wenn der Körperteil von einer Präposition begleitet wird: Erst küsste er ihr die Hand, dann küsste er sie auf den Mund . Dasselbe gilt für »lecken«: Erst leckte er ihr die Hand, dann leckte er sie am Hals .

Das Imperfekt der Höflichkeit
    Wenn es darum geht, Dinge zu beschreiben, die gerade passieren und für diesen Moment gelten, dann benutzt man normalerweise das Präsens. Normalerweise – aber nicht immer. Es gibt Situationen, in denen die Gegenwartsform gemieden wird, als sei sie unschicklich. Ein schlichtes »Was wollen Sie?« wird plötzlich zu »Was wollten Sie?«.
    Mein Freund Henry und ich sitzen im Restaurant und geben gerade unsere Bestellung auf. »Also, Sie wollten den Seeteufel, richtig?«, fragt der Kellner an Henry gewandt. »Das ist korrekt«, erwidert Henry und fügt hinzu: »Und ich will ihn immer noch.« Der Kellner blickt leicht irritiert. Henry erklärt: »Angesichts der Tatsache, dass meine Bestellung gerade mal eine halbe Minute her ist, dürfen Sie gerne davon ausgehen, dass ich den Seeteufel auch jetzt noch will.« Der Kellner scheint zwar nicht ganz zu begreifen, nickt aber höflich und entfernt sich.
    »Was sollte das denn nun wieder?«, frage ich meinen Freund, der es auch nach Jahren noch schafft, mich mit immer neuen seltsamen Anwandlungen zu verblüffen. Henry beugt sich vor und raunt: »Ist dir noch nie aufgefallen, dass im Service ständig die Vergangenheitsform benutzt wird, ohne dass es dafür einen zwingenden Grund gibt?« – »Das mag zwar sein, aber ich wüsste nicht, was daran verkehrt sein sollte«, erwidere ich. Henry deutet zur Tür und sagt: »Das ging schon los, als wir hereinkamen. Du warst noch an der Garderobe, ich sage zum Empfangschef: ›Guten Abend, ich habe einen Tisch für zwei Personen reserviert!‹, und er fragt mich: ›Wie war Ihr Name?‹« – »Ich ahne Furchtbares! Du hast doch nicht etwa …?« – »Natürlich habe ich!«, sagt Henry mit einem breiten Grinsen. »Die Frage war doch unmissverständlich. Also erkläre ich ihm: ›Früher war mein Name Kurz, aber vor drei Jahren habe ich geheiratet und den Namen meiner Frau angenommen, deshalb ist mein Name heute nicht mehr Kurz, sondern länger, nämlich Caspari.‹« – »Ein Wunder, dass er uns nicht gleich wieder vor die Tür gesetzt hat!«, seufze ich. Henry zuckt die Schultern: »Ist doch wahr! Eisparfait auf der Karte und Imparfait in der Frage – das sind Wesensmerkmale der Gastronomie. Sag mir nicht, du hättest dir noch nie darüber Gedanken gemacht? Ich jedenfalls finde es höchst bemerkenswert!«
    Eine Viertelstunde später kommt eine junge weibliche Servierkraft mit den Speisen. »Wer bekam den Fisch?«, fragt sie. Henry wirft mir einen triumphierenden Blick zu, wendet sich zur Kellnerin und sagt mit einem charmanten Lächeln: »Noch hat ihn keiner bekommen, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn ich ihn nun bekommen könnte.« – »Henry«, sage ich tadelnd, »du bringst die junge Dame ja völlig durcheinander!« – »So soll es sein!«, erwidert Henry selbstbewusst. Ich bemühe mich, sachlich zu bleiben: »Wenn dich jemand etwas fragt und dabei das Imperfekt verwendet, dann heißt das nicht, dass er sich für deine Vergangenheit interessiert. Meistens verwendet man es, wenn man sich einer Sache vergewissern will: Wie war das doch gleich?« Henry spritzt, den Seeteufel nur um wenige Meter verfehlend, Zitronensaft auf mein Hemd und entgegnet: »Als Anwalt bin ich es nun mal gewohnt, Sprache wörtlich zu nehmen. Neulich im Reisebüro wurde ich gefragt: ›Wohin wollten Sie?‹ Da habe ich dann ganz gewissenhaft aufgezählt: ›Letztes Jahr wollte ich in die Karibik – Barbados oder Jamaika, das war immer schon mein Traum, war aber leider zu teuer. Im Jahr davor wollte ich zum Tauchen auf die Malediven, dafür hätte ich aber erst zehn Kilo abnehmen müssen. Als Student wollte ich nach Ägypten, doch dann lernte ich meine Freundin kennen und blieb in Deutschland; und als ich ein kleiner Junge war, da wollte ich unbedingt auf den Mond. Jetzt will ich eigentlich nur nach Rügen.‹ Du kannst dir vorstellen, wie die Reisekauffrau geguckt hat. Das hätte sie kürzer
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