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Der Codex

Titel: Der Codex
Autoren: Douglas Preston
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schloss er die Augen und sagte: »Holt mir Schreibzeug. Nun, da ich euch etwas hinterlassen kann, werde ich ein neues Testament aufsetzen.«

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    Sie brachten Maxwell Broadbent einen Stift und eine Rolle Borkenpapier.
    »Sollen wir dich allein lassen?«, fragte Vernon.
    »Nein. Ich brauche euch hier. Dich auch, Sally. Kommt her. Stellt euch auf.«
    Sie kamen und bauten sich um die Hängematte auf. Maxwell Broadbent räusperte sich. »Nun, meine Söhne. Und ...« Er schaute Sally an. »Meine künftige Schwiegertochter. Jetzt geht's los.«
    Er hielt inne.
    »Was für tolle Söhne ich doch habe. Es ist 'ne Schande, dass ich so lange gebraucht habe, um das zu begreifen.« Er räusperte sich erneut. »Ich hab nicht mehr viel Kraft, und mein Kopf fühlt sich an wie ein Kürbis, also werde ich's kurz machen.«
    Sein noch immer klarer Blick wanderte durch den Raum. »Herzlichen Glückwunsch. Ihr habt's geschafft. Ihr habt euch euer Erbe verdient und mir das Leben gerettet. Ihr habt mir gezeigt, was für ein absoluter Blödian ich als Vater war ...«
    »Vater ...«
    »Unterbrecht mich nicht! Bevor ich gehe, hab ich noch einen Ratschlag für euch.« Er rang nach Luft. »Jetzt, da ich auf dem Totenbett liege, wie kann ich da widerstehen?« Er atmete tief durch: »Philip, du bist mir am ähnlichsten. Ich habe in den letzten Jahren gesehen, dass die Erwartung e i nes großen Erbes einen Schatten auf dein Leben geworfen hat. Zwar bist du nicht von Natur aus gierig, aber wenn einem eine halbe Milliarde ins Haus steht, wirkt das zerse t zend. Ich weiß, dass du über deine Verhältnisse lebst und in de i nen New Yorker Kreisen versucht hast, den reichen und kultivierten Genießer zu spielen. Du leidest an der gleichen Krankheit wie ich früher auch: Du willst das Sch ö ne an sich besitzen. Hör damit auf. Dafür sind Museen da. Führe ein einfacheres Leben. Du schätzt die Kunst. Das ist schon Lohn genug, nicht Anerkennung und Ruhm. Auße r dem habe ich gehört, dass du ein verdammt guter Lehrer sein sollst.«
    Philip nickte kurz. Er wirkte insgesamt nicht sehr erfreut.
    Broadbent holte mehrmals hektisch Luft. Dann nahm er Vernon ins Visier: »Ve r non, du bist ein Suchender. Jetzt wird mir endlich klar, wie wichtig es für dich ist, so zu sein. Dein Problem ist, dass du dich ausnutzen lässt. Du bist ar g los. Doch es gibt eine alte Faustregel, Vernon: Sobald eine Religion an dein Geld ran will, ist sie einen Scheißdreck wert. Das Beten in Kirchen kostet nichts.«
    Vernon nickte.
    »Und jetzt zu dir, Tom. Von all meinen Söhnen hast du am wenigsten von mir. Ich habe dich eigentlich nie ve r standen. Du bist auch am wenigsten materialistisch eing e stellt. Du hast mich schon vor langer Zeit abgelehnt, mögl i cherweise aus guten Gründen.«
    »Vater ...«
    »Still! Im Gegensatz zu meinem Lebensstil ist der deine diszipliniert. Ich weiß, du wärst eigentlich lieber Paläont o loge geworden und hättest nach Dinosaurierfossilien g e sucht. Ich habe dich, blöd wie ich bin, in die Medizin g e drängt. Ich weiß, dass du ein guter Tierarzt bist, auch wenn ich nie verstanden habe, warum du dein beme r kenswertes Talent damit vergeudest, irgendwelche abgehalfterten Gä u le in Navajo-Reservaten zu verarzten. Aber eines habe ich endlich kapiert: dass ich jede Wahl, die du in deinem Leben triffst, ehren und respektieren muss - egal ob es um Din o saurier oder um Pferde geht. Tu, was du willst - du hast meinen Segen. Außerdem ist mir deine Rechtschaffenheit aufgefallen. Das ist etwas, woran es mir immer gefehlt hat. Deswegen hat es mich auch geärgert, dergleichen so ausg e prägt an einem meiner Söhne zu sehen. Ich weiß nicht, was du mit einem riesigen Erbe ang e fangen hättest. Ich nehme an, dass du es selbst auch nicht weißt. Du brauchst das Geld nicht. Eigentlich willst du es auch gar nicht haben.«
    »Ja, Vater.«
    »Und jetzt Borabay ... Du bist zwar mein ältester Sohn, aber ich habe dich erst seit kurzer Zeit. Obwohl wir uns erst vor einer Weile begegnet sind, habe ich irgendwie das G e fühl, dich am besten zu kennen. Dir habe ich d eine Bew e gungsfreiheit gela s sen. Ich habe das Gefühl, dass du - wie ich - ein wenig gierig bist. Du kannst es kaum erwarten, von hier zu verschwinden, nach Amerika zu ziehen und ein angenehmes Leben zu führen. Du passt eigentlich nicht zu den Tara. Nun, dagegen ist nichts ei n zuwenden. Du lernst schnell. Das ist ein Vorteil, denn du hattest eine gute Mu t ter, und ich war als dein
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