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Der Codex

Titel: Der Codex
Autoren: Douglas Preston
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Bewusstsein.
    »Ich brauch was zu trinken«, sagte er mit heiserer Sti m me.
    Tom nahm einen Krug, verließ die Hütte und eilte zu e i nem Bach in der Nähe. Das Tara-Dorf erwachte gerade erst zum Leben. Feuer wurden entzündet. Die formsch ö nen französischen Kupfer- und Nickeltöpfe, Pfannen und Terr i nen waren überall in Gebrauch. Rauch stieg in den mo r gendlichen Himmel auf. Auf dem Dorfplatz scharrten die Hühner. Magere Hunde schlichen auf der Suche nach A b fällen herum. Ein Kleinkind mit einem Harry-Potter-T-Shirt kam auf wackligen Beinen aus einer Hütte und strullte i r gendwo hin. Selbst bei so entlegenen Stämmen hielt die Zivilis a tion allmählich Einzug. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis die Weiße Stadt ihre Schätze und Gehei m nisse der Allgemeinheit zugänglich machte?
    Als Tom mit dem Wasser zurückkam, hörte er eine schri l le Stimme. Cahs alte Ehefrau trat aus ihrer Hütte und win k te ihm mit einer verschrumpelten Hand zu. »Wa h ka«, sagte sie gestikulierend.
    Tom blieb vorsichtig stehen.
    Wahka!
    Als er einen argwöhnischen Schritt auf sie zu machte, erwartete er irgendwie, dass sie ihn an den Haaren ziehen oder ihm an die Nüsse greifen würde.
    Doch die Frau nahm seine Hand und zog ihn zu ihrer Hütte.
    Wahka!
    Tom folgte ihrer gebückten Gestalt zögernd in den verqualmten Raum.
    Und dort, im schwachen Licht, lehnte Filippo Lippis Madonna der Trauben an einem Pfosten. Tom schaute sich das Renaissance-Meisterwerk an, dann ging er unsicheren Schritts darauf zu. Er war wie vom Donner gerührt und konnte kaum glauben, dass es echt war. Der Kontrast zw i schen der schäbigen Hütte und dem Gemälde war zu groß. Sogar im Dunkeln schien es aus sich selbst heraus zu leuc h ten: Die blonde Madonna - sie war kaum mehr als ein ju n ges Mädchen - mit dem Kind auf dem Arm, das sich mit zwei rosafarbenen Fingern eine Traube in den Mund schob. Über den beiden flatterte, in Blattgold erstrahlend, eine Taube dahin.
    Tom schaute die Alte verdutzt an. Ihr faltiges Gesicht m u sterte ihn mit einem breiten Lächeln. Ihr rosiges Zah n fleisch leuchtete. Dann ging sie auf das Gemälde zu, hob es auf und hielt es ihm hin.
    Wahka!
    Ihre Gesten besagten, er solle es seinem Vater in die Hütte bringen. Dann trat sie hinter ihn und schubste ihn sanft mit der Hand. »Teh! Teh!«
    Tom trat mit dem Gemälde auf den Dorfplatz hinaus. Cah hatte es offenbar z u rückbehalten. Es war ein Wunder. Als Tom die Hütte betrat, hob er das Bild hoch. Philip musterte es flüchtig, dann stieß er einen Schrei aus und wich zurück. Maxwell Broadbent stierte es mit großen Augen an. Zuerst sagte er kein Wort, dann legte er sich in die Hängematte zurück. Seine Miene wirkte ängstlich.
    »Verdammt noch mal, Tom. Jetzt fangen die Halluzinationen an.«
    »Nein, Vater, nein.« Tom hielt ihm das Gemälde hin. »Es ist echt. Fass es an.«
    »Nein«, schrie Philip. »Fass es nicht an!«
    Broadbent streckte eine zitternde Hand aus und berührte die bemalte Oberfläche.
    »Hallo«, murmelte er. Er schaute Tom an. »Ich träume also doch nicht.«
    »Du träumst nicht.«
    »Wo, um alles in der Welt, hast du das Bild her?«
    »Sie hatte es.« Tom drehte sich zu der Greisin um, die zahnlos grinsend im Tü r rahmen stand. Borabay stellte ihr einige Fragen, die sie ausführlich beantwortete. Er hörte ihr zu und nickte. Dann drehte er sich zu seinem Vater um.
    »Sie sagen, ihr Gatte gierig. Halten zurück viele Dinge von Gruft. Er alles verstecken in Höhle hinter Dorf.«
    »Was für Dinge?«, fragte Broadbent schnell.
    Borabay redete wieder auf Cahs Gattin ein.
    »Sie nicht wissen. Sie sagen, Cah fast ganzen Schatz von Gruft gestohlen. Er hat Kisten mit Steine gefüllt. Er sagen, er nicht wollen Schätze von weiße Mann in Tara-Grabkammer bringen.«
    »Ich hab's fast geahnt«, sagte Broadbent. »Als ich in der Gruft war, sind mir ein paar Kisten aufgefallen, die hohler klangen, als sie es hätten sein dürfen: fast leer. Ich konnte sie aber im Dunkeln nicht öffnen. Deswegen bin ich kurz vor Hausers Auftauchen noch mal in die Kammer gega n gen, um zu sehen, ob ich das Rätsel lösen kann. Cah war ein verdammt schräger Vogel. Ich hätte es ahnen sollen. Er ha t te es von Anfang an so geplant. Gott, er war ebenso gierig wie ich!«
    Seine Blicke tasteten das Gemälde ab. Das Bild reflektierte das Licht des Feuers. Der flackernde Schein spielte auf dem Gesicht der heiligen Jungfrau. Während er es anschaute, schwieg er. Dann
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