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Der Cartoonist

Der Cartoonist

Titel: Der Cartoonist
Autoren: Sean Costello
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Schwester nochmals an.
    Der Alte
zeichnete jetzt zügiger, er versah das Ganze mit Struktur und Räumlichkeit; das
Kratzen des über die Seite huschenden Bleistifts glich einem heiseren Flüstern.
Die runden Objekte wurden zu Zylindern ... zu Fässern ... Es waren vier Fässer.
Aber was sollte das rippenartige Muster? Vielleicht Reifen, die die Fässer in
gleichen Abständen schützend umgaben. Sie kamen ihm irgendwie bekannt vor.
    »Dr. Bowman!«
    Scott wandte
den Kopf halb zu der Schwester herum, blickte aber gleich darauf wie unter
Zwang zurück auf die Zeichnung. Wie mit Zauberhand versah der Alte eines der
Fässer blitzschnell mit einer Blume, die einer Rose glich. Und schon skizzierte
er, immer noch im selben rasanten Tempo, eine Reihe parallel liegender Latten,
die die Fässer miteinander verbanden. Sie wirkten wie Bohlen, hatten aber
außergewöhnlich geschwungene Kanten.
    Scott fragte
sich, wo und wann er das alles schon einmal gesehen hatte. Etwas in seiner
Erinnerung sagte ihm, dass es erst kürzlich gewesen sein konnte.
    Als er eine Hand auf seinem Unterarm spürte, drehte er
sich schließlich um. Das Gesicht der Krankenschwester war vor Verzweiflung
schon rot angelaufen. »Ähm, ja, tut mir Leid«, sagte er, »aber ich ...« Sofort
konzentrierte er den Blick wieder auf die Zeichnung, wobei er versuchte, die
Formen, ihre geometrische Beziehung zueinander und die große, weiße Rose
irgendwo in seiner Erinnerung zu orten.
    »Ihre Frau ist
auf Leitung dreizehn«, bemerkte die Krankenschwester.
    »Danke .« Scott fühlte sich so plötzlich zurück in die Wirklichkeit
geholt, als sei er aus einem Traum gerissen worden.
    »Hinten im
Besprechungszimmer ist ein Telefon frei«, teilte ihm die Schwester
kopfschüttelnd mit und ging weiter.
    Als Scott sich
widerstrebend vom Rollstuhl abwandte und auf den Weg machte, um den Anruf
entgegenzunehmen, unterbrach der Alte seine Bleistiftskizzen und sah dem Arzt
mit starrem Blick hinterher. Am Ende des Flurs blieb Scott kurz stehen, da er
den Blick spürte. Er drehte sich nicht um, sondern setzte seinen Weg gleich
darauf fort. Doch in diesem kurzen Moment des Zögerns überlief ihn eine solche
Gänsehaut, als habe jemand auf seinem Grab getanzt
    Er holte einen
Verband aus dem Versorgungsschränkchen, wickelte ihn um den Finger und ging
danach zum Telefon im Besprechungszimmer. Sein Finger pochte höllisch, außerdem
hatte er Hunger und Durst und wollte nur noch nach Hause.
    Doch als er Kristas
muntere, kräftige Stimme hörte, waren der alte Mann und das eigenartige Deja-vu-Gefühl
schnell vergessen.
    Wenn auch nur
für einen kurzen Augenblick.
    Das Zwielicht
und die schärfer hervortretenden Schatten des Spätnachmittags erfassten die
einsame Gestalt auf dem Flur, die im Rollstuhl am Fenster saß. Mit den
Fingerspitzen berührte der Alte behutsam, fast zärtlich die gerinnenden
Blutstropfen auf seinem Unterarm und verdrehte dabei die dunklen Augen. Die
versiegelten Lippen zuckten.
    Es dauerte ein
Weilchen, bis er sein Zeichnen fortsetzte.
    3
    »Hallo,
Schatz.«
    Kristas Stimme
klang leise und weit entfernt. Das laute Dröhnen eines Rennboots im Hintergrund
verriet Scott, dass sie das drahtlose Telefon mit hinunter zum See genommen
hatte.
    »Ebenfalls
hallo«, begrüßte er sie lächelnd. Ihm war klar, dass sie wohl gerade die
Geburtstagsparty für ihn vorbereitete.
    »Bin froh,
dass ich dich erwischt hab ...« Sie drehte sich etwas vom Hörer weg und ihre
Stimme klang für einen Moment schärfer und lauter: »Kathleen! Vorsicht, dort
unten ist giftiger Efeu! Entschuldigung, Liebster. Ich wollte dir nur sagen,
dass wir kein Bier mehr haben. Die Swains sind heute Nachmittag vorbeigekommen
und haben alles weggetrunken. Und ich weiß doch ganz genau, dass deine Gedanken
bei dem heißen Wetter eher um ein großes, kaltes Budweiser kreisen als um deine
kleine, süße Frau .«
    Da hatte sie
allerdings Recht.
    »Das ist lieb,
Schatz. Vielen Dank. Ich bring dann noch was von unterwegs mit und bin bald zu
Hause .«
    »Alles klar.
Bis gleich.« Sie legte auf.
    Plötzlich
hatte Scott solche Sehnsucht nach ihr, dass es fast schon schmerzte.
    Auch er legte
auf und machte sich dann mit schnellen Schritten auf den Weg zum
Krankenhausparkplatz.
    Die
Verzögerung, die durch die Begegnung seiner Studenten mit dem Zeichner
entstanden war, und sein Zwischenstopp am Getränkeladen >Brewer's
Retail<, wo er den Vorrat an Budweiser aufstockte, schienen zu Scotts
Vorteil gewesen zu sein. Als er
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