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Der Buick: Roman (German Edition)

Der Buick: Roman (German Edition)

Titel: Der Buick: Roman (German Edition)
Autoren: Stephen King
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war ich fast drauf gekommen, und dann war es mir wieder entglitten. In solchen Fällen bringt es nichts, es erzwingen zu wollen. So hatte ich das damals gesehen, und so sah ich das immer noch.
    Statt also den Buick weiterhin mit meinem Polizistenblick zu mustern, sah ich nicht mehr so genau hin und ließ meine Gedanken schweifen. Mir fielen natürlich wieder die Titel alter Songs ein, die anscheinend auch die Oldiesender nicht mehr spielten, wenn es mit ihrer flüchtigen Beliebtheit mal vorbei war. » Society’s Child « und » Pictures of Matchstick Men « und »Quick Joey Small« und …
    … und bingo! Da war es. Wie er gesagt hatte: direkt vo r m einer Nase. Für einen Moment verschlug es mir den Atem.
    Da war ein Sprung in der Windschutzscheibe.
    Ein zarter, silbriger Riss zog sich auf der Fahrerseite zickzackförmig von oben nach unten durch das Glas.
    Ned klopfte mir auf die Schulter. » Wusste ich doch, dass du draufkommst, Sherlock.«
    Ich wandte mich zu ihm um, wollte etwas sagen und blickte dann vorher doch noch einmal in den Schuppen, um sicherzugehen, dass ich auch wirklich gesehen hatte, was ich mir einbildete, gesehen zu haben. Doch, das hatte ich. Der Riss sah aus wie erstarrtes Quecksilber.
    » Wann ist das passiert?«, fragte ich ihn. » Weißt du das?«
    » Ich knipse alle achtundvierzig Stunden oder so ein Polaroidfoto davon«, sagte er. » Zur Sicherheit werde ich noch mal nachsehen, aber ich fress ’nen Besen, wenn der Riss auf dem letzten Foto schon zu sehen war. Das ist also irgendwann zwischen Mittwochnachmittag und Freitagnachmittag um …« Er sah auf seine Armbanduhr und strahlte mich dann an. » … um Viertel nach vier passiert.«
    » Es könnte sogar passiert sein, während wir auf Eddies Beerdigung waren«, sagte ich.
    » Durchaus möglich, ja.«
    Wir schauten noch eine Weile schweigend hinein. Dann sagte Ned: » Ich habe das Gedicht gelesen, von dem du erzählt hast. Das über die Wunderkutsche.«
    » Ja?«
    » Ja, und es ist ziemlich gut. Sehr lustig.«
    Ich trat von dem Fenster zurück und sah ihn an.
    » Es wird jetzt schnell gehen – wie in dem Gedicht«, sagte er. » Als Nächstes platzt ein Reifen … oder der Auspuff fällt ab … oder ein Chromteil. Kennst du das, wenn man im Januar auf einem zugefrorenen See steht und hören kann, wie das Eis knarrt und kracht?«
    Ich nickte.
    » Genauso wird das sein.« Seine Augen strahlten, und mir kam ein kurioser Gedanke: dass ich Ned Wilcox zum ersten Mal seit dem Tod seines Vater wirklich glücklich erlebte.
    » Meinst du?«
    » Ja. Aber statt krachendem Eis wird man brechende Schrauben hören und splitterndes Glas. Die Kollegen werden wie in alten Zeiten aufgereiht an den Fenstern hier stehen … aber jetzt werden sie zusehen, wie etwas zerbricht und sich löst und abfällt. Bis schließlich das ganze Ding nur noch Schrott ist. Sie werden sich fragen, ob ganz zum Schluss noch ein letzter Blitz kommt, wie zum Abschluss des Feuerwerks am vierten Juli immer noch so ein Blumenstrauß aus Raketen kommt.«
    » Und wird es einen Blitz geben? Was glaubst du?«
    » Ich glaube, die Zeit der Feuerwerke ist vorbei. Ich glaube, wir werden nur noch einmal laut Stahl klirren hören, und dann können wir die Reste zur Schrottpresse bringen.«
    » Bist du dir sicher?«
    » Nee«, sagte er und lächelte. » Sicher kann man sich da nicht sein. Das habe ich von dir und Shirley und Phil und Arky und Huddie gelernt.« Er hielt inne. » Und von Eddie J. Aber ich werde aufpassen. Und früher oder später …« Er hob eine Hand, betrachtete sie, ballte sie zur Faust und wandte sich dann wieder seinem Fenster zu. » Früher oder später.«
    Ich wandte mich wieder meinem Fenster zu und hielt mir gegen den Sonnenschein die Hände seitlich ans Gesicht. Ich spähte zu dem Ding hinein, das aussah wie ein Buick Roadmaster 8. Der Junge hatte vollkommen recht. Früher oder später.
    Bangor, Maine
    Boston, Massachusetts
    Naples, Florida
    Lovell, Maine
    3. April 1999 – 11. Mai 2001

Nachbemerkung
    Mir sind dann und wann schon Ideen in den Schoß gefallen – das geht vermutlich jedem Schriftsteller so –, aber bei dem Buick war es kurioserweise umgekehrt: In diesem Fall fiel ich förmlich der Idee in den Schoß. Das ist schon eine kurze Nachbemerkung wert, finde ich, zumal, wenn sie zu einer wichtigen Danksagung hinleitet.
    Meine Frau und ich verbrachten den Winter 1999 auf Longboat Key in Florida. Dort bosselte ich an der Schlussfassung des Kurzromans Das
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