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Der Buick: Roman (German Edition)

Der Buick: Roman (German Edition)

Titel: Der Buick: Roman (German Edition)
Autoren: Stephen King
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Baujahr 55 sein, oder was meinst du?«
    Er war Baujahr 58 – jedenfalls laut Tony Schoondist, Curtis Wilcox und Ennis Rafferty. Doch im Grunde genommen war er alles andere als ein 58er. Er war auch kein Buick. Und auch kein Auto. Er war ganz was anderes, wie wir in meiner vergeudeten Jugend zu sagen pflegten.
    Währenddessen plapperte Ned weiter.
    » Aber er ist tipptopp in Schuss, das sieht man schon von hier. Es war so eigenartig, Sandy! Ich hab reingeguckt, und erst hab ich nur den Umriss gesehen, weil die Plane noch drüber war. Dann hab ich angefangen, die Fenster zu putzen, und dann war da dieses Geräusch, oder eigentlich waren es zwei Geräusche, erst ein Wusch und dann ein Fopp . Die Plane ist von dem Auto gerutscht, während ich die Fenster geputzt habe! Als wollte es, dass ich es sehe, oder so! Ist das nicht wirklich eigenartig?«
    » Ja, das ist ziemlich eigenartig«, sagte ich. Ich lehnte die Stirn (wie ich es schon so oft getan hatte) an die Fensterscheibe und schirmte meine Augen mit den Händen ab. Ja, es sah durchaus wie ein alter Buick aus, alt, aber tipptopp in Schuss, genau wie der Junge gesagt hatte. Der unverkennbare Buick-Kühlergrill aus den Fünfzigern, der für mich wie das Maul eines Chromkrokodils aussah. Weißwandreifen. Hintendran die Fenderskirts – Wow, Baby, hieß es früher immer, too cool for school . Wenn man so in den dunklen Schuppen schaute, hätte man wahrscheinlich angenommen, der Wagen sei schwarz. In Wirklichkeit war er nachtblau.
    Buick hatte 1958 durchaus nachtblaue Roadmaster hergestellt – Schoondist hatte das überprüft –, bloß eben nicht so einen. Der Lack sah leicht uneben und irgendwie brüchig aus, wie bei einem selbst gebauten Auto.
    Das ist ein Erdbebengebiet da drin, sagte Curt Wilcox.
    Ich zuckte zurück. Obwohl er seit einem Jahr tot war, hatte er mir direkt ins linke Ohr gesprochen. Er oder irgendwas sonst.
    » Was ist?«, sagte Ned. » Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
    Einen gehört habe ich, hätte ich fast gesagt. Doch stattdessen sagte ich: » Ach, nichts.«
    » Bestimmt? Du bist zusammengezuckt.«
    » Nur ein leichtes Frösteln, weiter nichts.«
    » Und was ist jetzt mit diesem Wagen? Wem gehört der?«
    Was für eine Frage. » Das weiß ich nicht«, sagte ich.
    » Und wieso steht er da im Dunkeln? Mann, wenn ich so einen schönen Oldtimer hätte, würde ich den doch nicht in so einen dreckigen, alten Schuppen stellen.« Dann fiel ihm etwas ein. » Ist das, äh, das Auto von einem Verbrecher? Ein Beweisstück?«
    » Man könnte es als beschlagnahmt bezeichnen. Wegen Treibstoffdiebstahls.« So nannten wir das. Das war nicht viel, aber wie Curtis immer gesagt hatte, reichte ein einziger Nagel, wenn man seinen Hut aufhängen wollte.
    » Treibstoffdiebstahl?«
    » Benzin im Wert von elf Dollar.« Ich brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, wer dieses Benzin gezapft hatte.
    » Elf Dollar? Weiter nichts?«
    » Tja«, sagte ich. » Wenn man seinen Hut aufhängen will, reicht dafür ein einziger Nagel.«
    Er sah mich verdutzt an. Ich erwiderte den Blick stumm.
    » Können wir da reingehen?«, fragte er schließlich. » Uns das mal näher ansehen?«
    Ich lehnte die Stirn an die Fensterscheibe und las das Thermometer ab, das vom Deckenbalken hing, so rund und fahl wie das Gesicht des Monds. Tony Schoondist hatte es bei Tru-Value in Statler gekauft und selbst bezahlt, nicht aus der Portokasse der Troop D, und Neds Vater hatte es an den Balken gehängt.
    Obwohl es hier draußen, wo wir standen, mindestens dreißig Grad waren und jedermann weiß, dass es in einem schlecht gelüfteten Schuppen dann eigentlich noch heißer sein müsste, zeigte die große rote Nadel des Thermometers dreizehn Grad Celsius an.
    » Das geht jetzt nicht«, sagte ich.
    » Wieso denn nicht?« Und dann, als hätte er gemerkt, dass es unhö fl ich, vielleicht gar unverschämt gewesen war, so zu fragen: » Was ist denn damit?«
    » Das wäre jetzt gefährlich.«
    Mehrere Sekunden lang sah er mich aufmerksam an. Dabei wichen das Interesse und die lebhafte Neugier aus seinem Blick, und er wurde wieder zu dem Jungen, den ich so oft gesehen hatte, seit er zu uns in die Kaserne kam – am deutlichsten an dem Tag, als die Pitt ihn angenommen hatte: der Junge, der da weinend auf der Raucherbank gesessen hatte und wissen wollte, was jeder Junge wissen will, wenn plötzlich ein geliebter Mensch von der Bühne des Lebens gezerrt wird: Warum ist das passiert? Warum ist es mir
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