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Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien

Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien

Titel: Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Autoren: Michael Götschenberg
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sorgsam gewählten Anlass. Will er über die Medien
etwas mitteilen, dann verschickt das Bundespräsidialamt eine Presse erklärung, hin und wieder gibt es „Pressebegegnungen", etwa wenn
Staatsgäste zu Besuch sind. Wendet sich der Bundespräsident hingegen
mit einer Erklärung über die Medien an die Öffentlichkeit, dann
stimmt etwas nicht.

    Dennoch wird die Ankündigung aus dem Bundespräsidialamt weitgehend achselzuckend zur Kenntnis genommen. Man nimmt an, dass
Horst Köhler sich in der Diskussion um seine Interview-Äußerungen
über Auslandseinsätze der Bundeswehr zu Wort melden wird. In einem
Interview auf dem Rückflug von einem Truppenbesuch in Afghanistan
hatte Köhler eher beiläufig die Sätze gesagt, die ihm seit Tagen vorgehalten werden. Bei einem Land wie Deutschland, das vom Außenhandel abhängig ist, stellt Köhler fest, können „im Notfall auch militärische Mittel" zum Einsatz kommen, um deutsche Interessen, „wie freie
Handelswege", zu wahren. Das Interview wurde zunächst unaufgeregt
im Deutschlandfunk „versendet", doch dann gab es empörte Reaktionen, zunächst in der Bloggerszene im Internet, die schließlich mit
kritischen Nachfragen verschiedene Zeitungen mobilisierte. Schließlich nahm sich Spiegel Online der Geschichte an und brachte damit
die kritische Auseinandersetzung mit Köhlers Interview-Äußerungen
ins Rollen. Im Deutschlandfunk wurde daraufhin der Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz, Chef des Auswärtigen Ausschusses, mit
Köhlers Sicht auf die Dinge konfrontiert. Polenz, CDU-Abgeordneter,
formulierte noch zurückhaltend, indem er meinte, Köhler habe sich
„etwas missverständlich ausgedrückt" und „keine besonders glückliche
Formulierung" gewählt.
    Bei der SPD-Bundestagsfraktion klang das schon etwas anders: Der
Bundespräsident schade „der Akzeptanz der Auslandseinsätze der Bundeswehr", stellte ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Thomas Oppermann fest. Besonders pointiert drückte sich dann Jürgen Trittin
aus, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, der sich erst über Köhler lustig machte: „Man möchte zu seinen Gunsten annehmen, dass er
sich bei diesen Worten auf den Pfaden seines Vorgängers Heinrich
Lübke vergaloppiert hat", um dann hinterherzuschieben, dass der Bundespräsident sonst nämlich nicht mehr auf dem Boden des Grund gesetzes stehe. Trittin formulierte zwar schärfer als Oppermann, doch
es war vor allem der Angriff aus der SPD, der Köhler traf. Das Thema
fand in der Öffentlichkeit nur am Rande statt und kaum jemand
rechnete damit, dass da noch viel kommen würde. Unterdessen lief
für Horst Köhler gerade das Fass über.

    Pünktlich um 14 Uhr tritt der Bundespräsident an diesem Montag
im Langhanssaal, im ersten Stock von Schloss Bellevue, in Begleitung
seiner Frau vor die Kameras und Mikrofone. Dass Eva Luise Köhler
ihren Mann begleitet, beseitigt letzte Zweifel, ob tatsächlich zutrifft,
was wenige Minuten vorher bereits aus dem Bundespräsidialamt
durchgesickert ist. Köhler stellt sich an ein schmales Pult und verliest
eine kurze Erklärung, in der er mitteilt, er trete „mit sofortiger Wirkung" zurück. Die Kritik an seinen Äußerungen entbehre jeder Rechtfertigung und lasse den „notwendigen Respekt" vor seinem Amt vermissen. Der Präsident schmeißt hin. Es ist eine einsame Entscheidung,
von der selbst engste Mitarbeiter erst kurz vorher erfahren. Doch nicht
nur Köhlers Mitarbeiter sind wie vor den Kopf gestoßen, auch die
Kanzlerin fällt aus allen Wolken. Erst gegen 12 Uhr, also zwei Stunden
vorher, rief der Bundespräsident bei Angela Merkel an. Merkel saß zu
diesem Zeitpunkt in der Präsidiumssitzung der CDU im KonradAdenauer-Haus. Als ihr mitgeteilt wurde, der Bundespräsident wünsche sie zu sprechen, verließ sie die Sitzung.
    Was Köhler ihr zu sagen hatte, schockierte Merkel. Sie war fassungslos. Merkel versuchte am Telefon, Köhler von seinem Entschluss abzubringen. Sie sagte ihm, dass die Bevölkerung, bei der er so hoch im
Kurs stehe, seine Entscheidung nicht verstehen werde. Schließlich sei
die Diskussion um seine Interview-Äußerungen an der Mehrheit der
Bevölkerung völlig vorbeigegangen, was zweifellos richtig ist. Doch
Köhler ließ sich nicht umstimmen und führte noch einige weitere
Telefonate, bevor er mit seiner Rücktrittserklärung vor die laufenden
Kameras trat. Er rief FDP-Chef und Vizekanzler Guido Westerwelle an, Bundestagspräsident Norbert
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