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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier
Autoren: Alfred Weidenmann
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diesem Augenblick der dicke Herr Giese von der Sportredaktion. Er blickte aus der Türe des Flugzeugs wie von einem Aussichtsturm herunter und streckte seinen rechten Arm aus. Er hatte Peter Schimmelpfennig natürlich nur an dem Käfig mit dem Papagei erkannt.
    Die Reporter drehten sich herum, als hätte ihnen die Kriminalpolizei auf die Schultern getippt, und fingen an, ihre Blitzlichter abzuschießen. Schon eine Sekunde später war Peter Schimmelpfennig zusammen mit seiner Mutter hoffnungslos eingekeilt. „Vermutlich ein Scherz“, stellte Dr. Liesegang fest und brachte die Großmutter in Sicherheit. Das Gedränge wurde immer bedrohlicher.
    Inzwischen hatte Peter Schimmelpfennig seine schwarze Perücke und die Hornbrille abgenommen. „Ich bitte höflich um Entschuldigung“, sagte er, „aber eigentlich wollte ich zuerst mal mit meiner Mutter in Ruhe eine Tasse Kaffee trinken.“
    „Das kommt auch noch“, rief einer der Fotografen, und ein anderer stellte fest: „Alles zu seiner Zeit.“ Anschließend verlangten sie, daß Peter Schimmelpfennig noch einmal in das Flugzeug stieg. Er mußte mit seinem Papageienkäfig und der Segeltuchtasche wieder auf die Gangway klettern und dabei in die Kameras hineinlachen. Im Laufe einer halben Stunde stieg er mindestens fünfzehnmal ein und aus. Und jedesmal, wenn er wieder aus der Flugzeugtür herauskam, hörte man von der Terrasse auf dem Flugplatzgebäude Sprechchöre.
    „Weltreisen sind aber anstrengend“, stellte die Großmutter fest, und dann platzte ihr die Geduld. Sie rief: „Hallo, Junge!“ und warf ihre Hände in die Luft. Und weil gleichzeitig ein Herr von der Lufthansa sagte, daß die Maschine jetzt wieder gebraucht werde und die nächsten Passagiere schon unterwegs seien, war es mit dem Fotografieren sowieso vorbei. Peter Schimmelpfennig durfte jetzt endgültig die Gangway herunterklettern. Er stellte seine Segeltuchtasche und den Käfig mit Neco neben sich auf den Boden und umarmte seine Großmutter. Dann verneigte er sich vor dem Chef des Abendblattes so, wie er es in Tokio gelernt hatte, und sagte: „Guten Tag, Herr Doktor, und herzlichen Dank für alles.“
    Dr. Liesegang war gerührt. Er nahm seine Zigarre aus dem Mund und legte Peter Schimmelpfennig seinen Arm um die Schultern. Das war natürlich der Augenblick, in dem jetzt vor allem die Fotografen des Abendblattes ihre Blitzlichter abschossen.
    Auf dem Weg zum Flugplatzgebäude trug Sportredakteur Giese den Käfig mit dem Papagei Neco und Herr Wachsberger die Segeltuchtasche. Peter Schimmelpfennig mußte vor der ganzen Gruppe zwei Schritte vorausgehen wie ein Staatsoberhaupt, das an der Spitze seiner Minister über eine eben eingeweihte Brücke spaziert. Beim Näherkommen zeigte sich, daß es in der Hauptsache Mädchen und Jungen waren, die das Flugplatzgebäude gestürmt hatten. Sie waren jetzt ganz außer sich, riefen immer lauter Peter Schimmelpfennigs Namen und hüpften durcheinander, als ob Knallfrösche zwischen ihnen explodiert wären.
    Peter Schimmelpfennig lachte und winkte zurück, aber er kam sich ein wenig albern vor dabei.
    Die Halle für Auslandspassagiere war am Sonntagvormittag fast leer. Man hatte also Platz genug, sich zusammenzusetzen, denn die Herren von den verschiedenen Zeitungen bestanden jetzt auf einer Pressekonferenz. Man schob Bänke und Sessel zusammen, und die Reporter setzten sich um Peter Schimmelpfennig herum. Der Chef des Abendblattes ließ aus dem Flughafenrestaurant heiße Würstchen kommen, und wer wollte, konnte ein Bier oder eine Coca-Cola dazu trinken.
    Während die Kellner mit den Tellern klapperten und Gläser verteilten, setzte sich Dr. Liesegang für einen kurzen Augenblick bei Peter Schimmelpfennig auf die Sessellehne. „Es kommt jetzt darauf an, daß du eine Menge redest, ohne wirklich etwas zu sagen“, flüsterte er. „Und vor allem, die ganze Sache mit Herrn Sang Ping muß unter uns bleiben. Das ist eine Bombe, die wir erst morgen platzen lassen.“ Dann stand der Chef des Abendblattes wieder auf, lächelte und breitete seine Arme aus. „Meine Herren von der sehr verehrten Konkurrenz, der blinde Passagier steht zu Ihrer Verfügung.“
    Die erste Frage stellte ein älterer, sehr schlanker Herr mit dunklem Rollkragenpullover. „Was hast du dir eigentlich gedacht, als du im Flugzeug gesessen hast und gar nicht wußtest, wohin es fliegt?“ Der Herr im Rollkragenpullover nahm sich etwas Senf auf sein heißes Würstchen und wartete gespannt auf die
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