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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier
Autoren: Alfred Weidenmann
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gekommen, um eine kleinere Filmrolle zu spielen, und glaubte jetzt leider, daß die Fotografen ihretwegen an einem Sonntagmorgen aus ihren Betten geklettert waren. Sie stellte sich ein wenig verwegen in Pose und winkte, so wie sie es einmal bei amerikanischen Filmstars gesehen hatte. Vier oder fünf Reporter wollten die junge Dame nicht enttäuschen. Sie schossen ihre Blitzlichter ab und sagten: „Danke schön.“ Aber andere Herren waren nicht ganz so höflich, weil sie einfach zu früh aufgestanden und noch schlecht gelaunt waren. Sie riefen: „Bitte weitergehen!“ und machten über den Leopardmantel und den knallroten Lederhut lauthals ein paar dumme Witze.
    Inzwischen rollten auch die Übertragungswagen von Funk und Fernsehen an die Gangway, und die Operateure fummelten an ihren Kameras herum.
    Der Chef des Abendblattes führte Frau Schimmelpfennig über das Flugfeld wie zu einer Schiffstaufe. „Das ist der große Augenblick“, sagte er und pustete seinen Zigarrenrauch in die kalte Luft. Dicht dahinter hatte Herr Chang vom Restaurant „Hongkong“ die Großmutter am Arm. Sie trippelte ein wenig, weil die Herren so große Schritte machten.
    Als sie bei der Gangway ankamen, rauschte gerade die schwarze Filmschönheit mit dem Leopardenfell über der Schulter an den letzten Fotografen vorbei. Die zwei langhaarigen Herren mit ihren Sonnenbrillen segelten mit ihr und im Kielwasser ihres Parfüms zum Omnibus.
    Jetzt kletterte eine amerikanische Familie aus dem Flugzeug. Dr. Liesegang trat höflich zur Seite und sagte sogar: „Welcome to Hamburg.“ Anschließend kamen noch zwei ältere Damen mit großen Hutschachteln. Und dann sah es so aus, als seien alle Passagiere ausgestiegen.
    Die Fotografen nahmen ihre Apparate vor die Augen, und die Fernsehleute zielten mit ihren Scheinwerfern auf das schwarze Loch über der Gangway. Dr. Liesegang stand zwischen Frau Schimmelpfennig und der Großmutter. Sie hatten alle drei die Hände übereinandergelegt, und es fehlte nur noch, daß eine Orgel spielte.
    Statt dessen hörte man jetzt von der Terrasse des Flugplatzgebäudes herüber die ersten Sprechchöre.
    Aber Peter Schimmelpfennig zeigte sich nicht.
    „Vielleicht kämmt er sich noch die Haare“, bemerkte die Großmutter, „ein bißchen eitel ist er ja.“
    „Er hat einfach Angst“, sagte Frau Schimmelpfennig, „und bei dem, was hier alles auf ihn wartet, ist das auch kein Wunder.“
    Ein wenig später winkte Dr. Liesegang seinen Sportredakteur zu sich. „Sehen Sie doch einmal nach, Herr Giese.“ Und als der Dicke über die Gangway kletterte, versicherte sich der Chef des Abendblattes noch einmal bei Herrn Wachsberger: „Er ist doch bestimmt mitgekommen?“
    „Kein Zweifel“, bestätigte der Herr, der so aussah wie Einstein.
    Als Sportredakteur Giese wieder in der Flugzeugtür erschien, die Schultern hob und deutlich zu verstehen gab, daß von Peter Schimmelpfennig nichts mehr zu entdecken sei, nahm Dr. Liesegang seine schwarze Zigarre aus dem Mund und machte zwei Schritte auf das Flugzeug zu. Die Fotoreporter wurden bereits unruhig und riefen: „Wo bleibt er denn?“
    Im gleichen Augenblick sagte eine Stimme ganz dicht neben Frau Schimmelpfennig: „Das ist jetzt eine günstige Gelegenheit zum Verduften.“ Die Stimme gehörte einem Jungen, der einen Papageienkäfig und eine Segeltuchtasche mit sich herumschleppte. Er hatte ganz schwarzes Haar und eine große, dunkle Sonnenbrille auf der Nase. Jetzt rief er noch genauso wie die anderen: „Ja, wo bleibt er denn?“
    Zuerst fiel Frau Schimmelpfennig beinahe in Ohnmacht. Aber dann überlegte sie es sich anders und drängelte sich vorsichtig immer weiter nach rückwärts. Das fiel auch gar nicht auf, weil die Leute im Augenblick ziemlich ratlos waren und nur zu der Tür am Flugzeug hinaufblickten. Herr Dr. Liesegang stellte gerade fest: „Das muß ein Irrtum sein, meine Herrschaften.“
    „Junge“, sagte Frau Schimmelpfennig im gleichen Augenblick, „daß du wieder da bist.“
    „Ja, ich bin wieder da“, sagte Peter Schimmelpfennig. „Aber was machen wir jetzt?“ Er blickte zu den Leuten am Flugplatzgebäude hinüber und zu den Reportern, die im Augenblick nur ihre Rücken zeigten. „Ich bin dafür, daß wir verduften, wie gesagt.“
    „Ist das nicht sehr unhöflich?“ fragte Frau Schimmelpfennig. „Wie bist du überhaupt aus dem Flugzeug gekommen?“
    „Zwischen ein paar baumlangen Basketballspielern und...“
    „Da ist er ja“, brüllte in
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