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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher
Autoren: Stefan Wolf
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den blonden Pony
berührten.
    „Ich finde“, sagte Tarzan, „wir
sind dazu verpflichtet. Volker ist erstens ein Klassenkamerad, zweitens kein
übler Kerl, drittens in einer schlimmen Situation, die unseren Einsatz
erfordert. Deinem Vater, Gaby, sind in gewisser Weise die Hände gebunden. Er
muß damit rechnen, daß die Krauses von den Kidnappern beobachtet werden. Das
heißt: Für die Polizei ist größte Vorsicht geboten. Nur ganz behutsam kann sie
mit den Krauses Kontakt aufnehmen. Und noch behutsamer muß sie sein, wenn sie
Raimondo oder Mario auf den Zahn fühlt. Wir haben es da besser. Daß richtige
Verbrecher uns ernstnehmen, das bilde ich mir nicht ein. Also würde es gar
nicht auffallen, wenn wir ein bißchen rumschnüffeln. Sobald wir irgendwas
Verdächtiges bemerken, sagen wir es natürlich sofort deinem Vater, Gaby.“
    Nach seinen Worten war es
still.
    Aber Oskar stand auf, hob die
linke Hinterpfote und kratzte sich grunzend und ächzend hinterm Ohr.
    „Gott sei Dank!“ flüsterte
Klößchen. „Der Floh ist jetzt wieder bei ihm. Ich werde kein Opfer der Pest.“
    „Also“, sagte Tarzan. „Wer macht
mit?“
    „Da fragst du noch!“ Empört
nahm Karl seine Nickelbrille ab. Mit einem sauberen Zipfel des Taschentuches
polierte er die Gläser. „Hat sich schon jemals wer ausgeschlossen?“
    „Trotzdem! Ich bin für
Demokratie. Jeder kann seine Meinung sagen — und sei sie noch so blöd.“
    Gaby zog Oskar zu sich heran
und hob seine Pfote steil empor. „Oskar macht mit.“
    „Er ist ein kluger Hund“,
lachte Tarzan, „obwohl er Flöhe hat.“
     
     
     

5.
In Marios Restaurant
     
    Draußen war es kühl. Gaby hatte
ihren neuen Poncho übergestreift. Er war selbst gehäkelt — in Dunkelblau und
Rot. Sie sah toll aus darin.
    Die vier radelten in Richtung
Sedan Straße. Daß sie sich unauffällig in der TRATTORIA umsehen wollten, war
gemeinsamer Beschluß. Oskar kam natürlich mit. Weniger, weil er durch Hochheben
der Pfote für den Plan gestimmt hätte, sondern mehr, weil er für sein Leben
gern lief. Das war ihm fast noch wichtiger als Frischfleisch mit Pansen. Neben
Gabys Rad an der Leine zu laufen, daran war er gewöhnt. Trotz seines blinden
Auges kannte er sich im Straßenverkehr besser aus als manches Kind.
    Nach halbstündiger Fahrt
erreichten sie die Sedan Straße. Sie lag in der Nähe eines Industrie-Viertels.
Die Luft roch miefig. Die alten Häuser waren grau, und die Dächer hatten längst
ihre Farbe verloren. Wer hier wohnte, hatte an weißen Hemden und Blusen
bestimmt nicht viel Freude.
    Die TRATTORIA war in einem
weitläufigen Gebäude untergebracht. Neben dem Eingang sah man durch eine
schmale Einfahrt in den Hinterhof, wo Bierkästen und Kisten mit leeren
Weinflaschen gestapelt waren.
    Bei der Einfahrt stellten die
Kinder ihre Räder ab. Paarweise wurden sie mit einem Kabelschloß
aneinandergekettet — zur Sicherheit. Vom Hof her ertönte das Klappern und
Scheppern von Töpfen und Pfannen. Dort waren die Küche und die Vorratsräume.
Tarzan, der hier vor längerer Zeit mal nach Oskar gesucht hatte, entsann sich,
daß es auch einen Keller gab, der nur vom Hof aus zugänglich war.
    „Dolce!“ sagte Klößchen und
leckte sich die Lippen. „Italienische Süßspeisen sind eine Wucht.“
    „Du kriegst nur eine Portion
frischen Salat“, verfügte Tarzan. „Flöhe, Pest und auch noch Übergewicht — was
zuviel ist, ist zuviel.“
    „Du bist schlimmer als meine
Mutter“, jammerte Klößchen.
    Gaby hatte ihren Geldbeutel
hervorgezogen und überprüfte den Inhalt. Tarzan wußte, daß er nur 3,80 DM
hatte. Karl fragte, ob jemand ihm 50 Pfennig pumpen könnte — sonst würde es
nicht mal zu einer Cola reichen. Klößchen war gut betucht. Er hatte kürzlich
Geburtstag gehabt; und das ist eine der seltenen Ausnahmen, bei der die
Internatsleitung Privatgeld gestattet. Sonst muß jeder mit dem Taschengeld
auskommen. Das bedeutet: Scharf rechnen und sich wirklich nur das gönnen, was
einem wichtig ist.
    Tarzan ging voran, als sie die
TRATTORIA betraten.
    Um diese Zeit war nicht viel
los. Ein paar Fliegen, die der Sommer übriggelassen hatte, krabbelten an den
Fensterscheiben rauf und runter. Hinten in der Ecke saß ein Pärchen und las
gemeinsam in einer Illustrierten. Der dritte Gast war ein Rentner in Lodenmantel
und Hut. Er trank einen Schoppen Rotwein und hatte seinen Dackel mitgebracht,
einen kleinen Kläffer, der sofort auf Oskar losschoß.
    In solchen Fällen läßt Oskar
sich
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