Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
nicht aus der Ruhe bringen. Er bleibt freundlich, beißt nicht und knurrt
nicht, stellt nicht mal die Nackenhaare auf, wendet aber sofort seinen
Catchergriff an — wie die Kinder das nennen.
    Der keifende Dackel guckte
verdutzt, als Oskar ihm mit Schwung beide Vorderpfoten um den Nacken schlang.
    „Der nimmt ihn in den
Schwitzkasten“, lachte Klößchen. „Das habe ich noch nie bei einem Hund gesehen.
Deine Erfindung, Gaby?“
    „Das macht er schon immer. Es
ist freundlich gemeint. Da! Der Dackel versteht’s.“
    Sie hatte recht. Die beiden
beschnupperten sich. Und der kleine Kläffer begann freundlich zu wedeln.
    Hinter der Theke war die Tür
zur Küche.
    Tarzan bemerkte, wie Mario kurz
hereinsah. Aber die Kinder waren ihm wohl als Gäste nicht wichtig. Er blieb in
der Küche und ließ sich Zeit mit dem Bedienen.
    Die vier setzten sich an einen
etwas entfernten Tisch, wo sie — mit gedämpften Stimmen — ungestört reden
konnten.
    „Wenn ich’s mir richtig
überlege“, sagte Gaby leise: „Dieser Mario hat eine gemeine Visage. Stechende
Augen. Pockige Haut. Und freundlich ist er auch nicht.“
    „Das besagt gar nichts“,
erklärte Tarzan entschieden. „Es gibt Wohltäter, die wie Frankenstein aussehen.
Und Mörder mit Engelsgesichtern.’’
    „Ich weiß. Aber es heißt auch,
das Gesicht sei der Spiegel der Seele.“
    „Dann hast du eine
bildschöne... Naja. Was bestellen wir denn?“
    Gaby sah ihn aufmerksam an. Um
ein Haar hätte Tarzan sich vergaloppiert. Es machte Mühe, jetzt eine gelassene
Miene zu bewahren. Deshalb interessierte er sich zunächst mal für seine
blitzblanken Fingernägel.
    „Cola ist das billigste“,
meinte Karl grinsend. „Und Klößchen nimmt Salat.“
    „Ich nehme römische Torte“,
sträubte der sich, „und ich erwarte Bewunderung, wenn ich bei einem Stück
bleibe.“
    Tarzan sah zur Küchentür. Aber
Mario ließ sich nicht blicken.
    „Ein Vorurteil ist zwar immer
schlecht — und meistens auch falsch“, nahm Gaby den Faden wieder auf, „trotzdem
steht fest, daß die Italiener ihre Hunde schlecht behandeln. Ich habe noch
nirgendwo so erbärmlich magere und kranke Hofhunde gesehen wie in Italien. Und
dann die vielen, vielen herrenlosen Katzen in Rom. Außerdem jagen die Italiener
Singvögel und essen sie. Das ist die größte Gemeinheit.“
    Dagegen konnte niemand was
einwenden.
    Aber Tarzan fand, mit diesen
Beispielen sei der Volkscharakter doch zu einseitig erklärt.
    „Stimmt alles, Gaby. Und
dagegen kann man nicht genug Stunk machen. Trotzdem — es ist nur die eine
Seite. Ganz toll finde ich nämlich, daß kaum ein anderes Volk seine Kinder so
liebt wie die Italiener. Da kann eine Familie noch so arm sein — das beste, was
sie hat, kriegen die Kinder.“
    „Das ist zwar nett“, meinte
Gaby. „Aber was haben die Hunde davon. Man sollte alle Hunde Italiens zu uns
bringen. Hier hätten sie’s besser. Und man sollte den Zugvögeln verbieten, im
Herbst in den Süden zu fliegen. Nee, geht nicht. Dann kämen sie um — im Winter.
Aber... Ja! Umleiten müßte man sie. An Italien vorbei.“
    „Eine gute Idee! Schlag’ das
den Schwalben mal vor.“
    „Ihr seid doof“, meinte sie
aufgebracht. „Ihr habt kein Verständnis dafür.“
    „Doch, doch!“ sagte Karl.
„Sämtliche Hunde Italiens zu uns — das ließe sich machen. Es sind ja nur 3,5
Millionen. Die Zahl ist allerdings von 1972. Inzwischen hat sie sich durch
Vermehrung sicherlich erhöht.“
    Tarzan pfiff durch die Zähne.
„Doch soviel? Toll! Und was du alles weißt! Manchmal könnte man denken, du
hättest ein gutes Gedächtnis.“
    „Für den Hausgebrauch
reicht’s“, sagte Karl mit gespielter Bescheidenheit. „Natürlich habe ich auch
die Zahlen für das übrige Europa im Kopf. An der Spitze steht England mit 5
Millionen Hunden. Frankreich hat 4,7 Millionen, bei uns sind es 3,013 Millionen,
in Spanien 1,5 Millionen, in der Schweiz sind es 250 000, in Österreich und
Irland je 350 000.“
    „Aber wieviele es in Dänemark,
Norwegen, Schweden und Finnland sind, weiß er nicht“, sagte Klößchen giftig.
    „450 000! 150 000! 400 000! Und
220 000!“ Karl, der Computer, ließ sich nicht lumpen.
    „Mein Gott!“ sagte Tarzan. „Und
alle selber gezählt. Ich bewundere dich, Karl.“
    Gaby seufzte. „Alle, alle
möchte ich mal zusammen sehen — auf einem riesigen Platz.“
    „Und dann“, lachte Klößchen,
„müßten sie gleichzeitig bellen.“
    Ein Schatten fiel über sie.
Mario Frasketti

Weitere Kostenlose Bücher