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Der Bilderwächter (German Edition)

Der Bilderwächter (German Edition)

Titel: Der Bilderwächter (German Edition)
Autoren: Monika Feth
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blitzte auf wie ein Wetterleuchten und erlosch im nächsten Augenblick.
    Ruben legte keinen Wert auf sein Aussehen, lief ewig in denselben Klamotten herum. Rasierte sich nicht. Kämmte sich nicht. Dennoch lagen ihm die Mädchen zu Füßen. Er brauchte bloß die Hand nach ihnen auszustrecken.
    Manchmal tat er das. Dann war er ein paar Wochen mit einer zusammen, die ihm gefiel.
    Aber es war nie von Dauer, und er war wieder allein.
    Oft schwieg er tagelang. Dann vergrub er sich in seinen Gedanken und war für niemanden ansprechbar. In solchen Phasen ließ man ihn besser in Ruhe, denn wenn man in ihn drang, rastete er aus.
    Thorsten erinnerte sich noch gut an die Folgen. Mehrmals hatten sie neue Fensterscheiben einsetzen lassen müssen, nachdem Ruben seine Wut ausgetobt hatte. Wie oft hatte er frische Farben besorgt, weil Ruben in einem Anfall sämtliche Utensilien vom Tisch gewischt und zertrampelt hatte.
    Vor nichts und niemandem hatte er haltgemacht.
    Einzig die Bilder hatte er niemals angerührt, weder seine eigenen, noch die anderer.
    In dem Fabrikgebäude gab es zehn Ateliers. Jedes wurde von mindestens zwei Künstlern genutzt. Um Geld zu sparen, denn keiner von ihnen hatte damals gewusst, wie er die Miete aufbringen sollte.
    Leinwand, Farbe, Pinsel, Spachtel und Kreide verschlangen einen Großteil dessen, was ihnen monatlich zur Verfügung stand, auch wenn sie mit den kostengünstigsten Materialien arbeiteten und die Bilderrahmen aus einfachem Holz selbst zusammenhämmerten.
    Sie standen am Anfang ihrer Laufbahn und hatten dasselbe Ziel: berühmt zu werden.
    Oder doch wenigstens von ihrer Kunst leben zu können.
    Sie unterstützten sich gegenseitig, organisierten gemeinsame Ausstellungen, machten aus dem Fabrikgebäude einen schäbigen Tempel der Kunst.
    Ganz allmählich floss Geld herein, gelang es diesem oder jenem, ein Bild, einen Wandteppich, eine Skulptur zu verkaufen. Das wurde jedes Mal gebührend gefeiert, denn allzu oft kam es nicht vor.
    Bis die Öffentlichkeit Ruben entdeckte.
    Journalisten rannten ihnen die Türen ein, um ein Interview mit ihm zu ergattern. Galeristen klopften an. Es hagelte Auszeichnungen. Und Einladungen zu Ausstellungen in den Kunstmetropolen.
    Berlin. Köln. München. Hamburg.
    London. Paris. New York.
    Rubens Aufstieg spielte sich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit ab, und sie alle sahen fassungslos zu.
    Leider färbte sein Erfolg nicht ab. Im Gegenteil. Die Anerkennung, die Ruben fand, vergrößerte nur die Bedeutungslosigkeit der andern.
    Er streifte sein altes Leben ab und richtete sich in einem neuen ein. Dazu verließ er die Kunstfabrik und kaufte sich ein Haus, dessen Nebengebäude, eine ehemalige Schreinerwerkstatt, er zu einem großen Atelier ausbaute.
    Ruben Helmbach war ein Star geworden.
    Zu seinem Freund hielt er weiterhin den Kontakt aufrecht. So war Thorsten der Einzige, der mitbekam, dass Rubens grandioser Erfolg niemanden weniger interessierte als diesen selbst.
    Ein fiebriger Ehrgeiz trieb ihn an. Das unwiderstehliche Verlangen, das vollkommene Bild zu erschaffen.
    Er verzehrte sich bei den Versuchen, sein Ideal zu erreichen.
    Thorsten trat einen Schritt zurück und legte Palette und Spachtel auf einem der beiden langen Tische ab, die er nun schon seit Jahren allein benutzte. Er hatte niemandem Rubens Hälfte des Ateliers angeboten.
    Seit damals nicht. Und erst recht nicht nach Rubens Tod.
    Die Miete hatte er immer irgendwie zusammengekratzt, und in den vergangenen Jahren hatte er von seinen eigenen Bildern leben können.
    Nein. Das Malen konnte er für den Moment vergessen. Er stieg auf den Crosstrainer, den er sich angeschafft hatte, um ab und zu überschüssige Energie loszuwerden, und legte ein ziemliches Tempo vor. Erst als ihm der Schweiß über die Schläfen lief, hatte er sich halbwegs von den Gedanken an seinen toten Freund befreit.
    Er lebte nun schon zwei Jahre mit Rubens Gespenst, doch statt zu verblassen, nahm es von Tag zu Tag mehr Farbe an.
    Thorsten steigerte das Tempo noch einmal.
    Er rang nach Luft. Keuchte.
    Aber vor Gespenstern konnte man nicht fliehen.
    *
    Emilia Ritter strahlte übers ganze Gesicht, als ihr Blick auf Merle fiel.
    » Merle! Wie schön! Treten Sie doch ein!«
    Immer schien sie sich aufrichtig zu freuen, obwohl Merle jede Woche ins Haus kam. Seit sie – endlich – eine feste Stelle im Tierheim hatte, gehörte die wöchentliche Berichterstattung zu ihren Aufgaben.
    Frau Donkas, die Heimleiterin, war froh gewesen, die
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