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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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Religionskrieger, die seit einigen Jahren das Antagonistische in der Welt zu repräsentieren behaupten; aber haben sich auch nicht gerade durch Rücksicht auf das Leben anderer, und auf das eigene, ausgezeichnet.
    In Lagun erratuena, dem Lied von Ruper Ordorika, heißt es:
     
    Was verändert sich? / Die Welt oder man selbst, die Vernunft oder die Begierde? / Fühlen sie sich abends schuldig / oder nicht?
     
    Lagun steht für Freund, Person oder Mensch, erratu kann herumirrend bedeuten, aber auch verloren oder sich irrend. Siebenhundert Menschen-Personen-Freunde sitzen im Gefängnis, es sind die, die auf den Fotos zu sehen sind. 1500 sollen immer noch mit falscher Identität irgendwo im Untergrund leben, darunter auch Zubieta und Sarrionandia.
    Man weiß nicht genau, ob sie verloren gegangen sind, sich irren oder einfach in Bewegung sind. In der Unsicherheit der Flucht lässt sich das nie ganz auseinanderhalten.
     
    Neben dem Zapfhahn liegt eine Zeitschrift, ich stoße auf ein Interview mit Bernardo Atxaga, dem in zwanzig Sprachen übersetzten Träger des spanischen Premio Nacional de Narrativa. Der Schriftsteller wird gefragt, warum er so viel Energie in die längst nicht mehr verbotene, nur noch überflüssige Sprache investiert.
    INTERVIEWER: … mir wäre es, angenommen, ich kannte das Englische gut genug, egal, meine Muttersprache aufzugeben und ins Englische zu wechseln.
    ATXAGA: ES kommt selten vor, dass jemand die Sprache, mit der er groß geworden ist, aufgibt. Da geht es um affektive, familiäre Dinge. Wenn Sie mir sagen, dass Ihnen die Beziehung zu Ihren Freunden nicht wichtig ist, mag das stimmen. Ich bin alt genug, um zu wissen, dass so etwas vorkommt. Aber genauso akzeptabel ist es, wenn es jemand anderem nicht so geht. Es gibt Menschen, die wegen einer Liebe 2000 Kilometer reisen, während andere nicht einmal 1000 Meter gehen würden.
    Der Diskurs, dass sich kulturelle Identitäten leicht verändern lassen, ist ein Diskurs der Metropolen. Ich hatte vor kurzem Besuch von einem Schriftsteller, der als einer der renommiertesten englischsprachigen Autoren gilt, obwohl seine Muttersprache nicht Englisch ist. Warum schreibt er auf Englisch? Weil er aus einem Land der Peripherie stammt, und es einen Unterschied macht, ob du deine Autorenrechte in Dollars oder in namibischen Kronen beziehst. Dahinter steckt eine Machtbeziehung – zwischen Norden und Süden, zwischen Reich und Arm. Und dabei glaube ich nicht, dass eine Sprache eine transzendentale Angelegenheit ist. In ihr spiegelt sich kein verborgenes kollektives Bewusstsein, keine festgeschriebene Andersartigkeit. Es ist einfach eine Sprache, die man gerne spricht. Mehr nicht.
     
    Ich stütze die Ellenbogen auf. Der Mann hinter dem Tresen trägt einen Ohrring und ein ausgeleiertes Hemd mit dem Aufdruck Chiapas, die Jugendlichen neben mir haben Zottelfrisuren, die manche in der Region um X offenbar für modisch halten. Eher beiläufig wandert mein Blick über die Tageszeitung, die einer von ihnen vor sich ausgebreitet hat. Man liest hier viel Zeitung, Nachrichten besitzen noch reale Bedeutung. Sie berichten nicht nur über Inszenierungen von Politik. Der Jugendliche ist in einen Artikel über einen umstrittenen Staudammbau vertieft, ich interessiere mich mehr für die Meldung daneben. In Frankreich, heißt es, seien eine Reihe von Wohnungen ausgehoben worden.
    Ich lehne mich zu meinem Nachbarn hinüber.
    Niemand sei verhaftet worden, Namen werden nicht genannt. Trotzdem habe ich sofort das Gefühl, von diesen Durchsuchungen direkt betroffen zu sein.
    Dass Zubieta nach Europa zurückgekehrt ist, hat alles verändert.

V
    Der Schriftsteller Atxaga, der Musiker Ordorika und der Terrorist? – Freiheitskämpfer? Joseba Sarrionandia gründen in den siebziger Jahren den Literaturzirkel Pott. Sie schreiben Texte in der damals noch verbotenen Sprache, übersetzen T. S. Elliot und Kafka, diskutieren über moderne Prosa. Ihre Sprache gilt als Relikt einer bäuerlichen Epoche, es heißt, es sei unmöglich, die Gegenwart in dieser Sprache darzustellen. Zudem sei sie überflüssig, denn alle, die sie beherrschen, könnten sich auch auf Spanisch oder Französisch unterhalten. Wozu bedarf es einer Differenz, die die Verständigung erschwert?
    Die Gruppe Pott und viele andere geben nichts auf diese Einwände. Sie machen sich die Sprache in diesen Jahren zu eigen, kodieren sie neu. Neben einem Wagen der Guardia Civil ein Kinderlied in der verbotenen Sprache anzustimmen,
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