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Der Besuch der alten Dame

Der Besuch der alten Dame

Titel: Der Besuch der alten Dame
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Der Zugführer springt auf.

    DER BÜRGERMEISTER Verehrte, gnädige Frau. Als Bürgermeister von Güllen habe ich die Ehre, Sie, gnädige, verehrte Frau, als ein Kind unserer Heimat ...

    Durch das Geräusch des davonrasenden Zuges wird der Rest der Rede des Bürgermeisters, der unentwegt weiterspricht, nicht mehr verstanden.

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    CLAIRE ZACHANASSIAN Ich danke, Herr Bürgermeister, für die schöne Rede.

    Sie geht auf Ill zu, der ihr etwas verlegen entgegengetreten ist.

    ILL Klara.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Alfred.
    ILL Schön, daß du gekommen bist.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Das habe ich mir immer vorgenommen. Mein Leben lang, seit ich Güllen verlassen habe.
    ILL unsicher Das ist lieb von dir.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Auch du hast an mich gedacht?
    ILL Natürlich. Immer. Das weißt du doch, Klara.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Es war wunderbar, all die Tage, da wir zusammen waren.
    ILL stolz Eben. Zum Lehrer Sehen Sie, Herr Lehrer, die habe ich im Sack.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Nenne mich, wie du mich immer genannt hast.
    ILL Mein Wildkätzchen.
    CLAIRE ZACHANASSIAN schnurrt wie eine alte Katze Wie noch?
    ILL Mein Zauberhexchen.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Ich nannte dich: mein schwarzer Panther.
    ILL Der bin ich noch.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Unsinn. Du bist fett geworden. Und grau und versoffen.
    ILL Doch du bist die gleiche geblieben. Zauberhexchen.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Ach was. Auch ich bin alt geworden und fett. Dazu ist mein linkes Bein hin. Ein Autounfall. Ich fahre nur noch Schnellzüge. Doch die Prothese ist vortrefflich, findest du nicht? Sie hebt ihren Rock in die Höhe und zeigt ihr linkes Bein . Läßt sich gut bewegen.
    ILL wischt sich den Schweiß ab Wäre nie daraufgekommen, Wildkätzchen.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Darf ich dir meinen siebenten Gatten vorstellen, Alfred? Besitzt Tabakplantagen.
    Führen eine glückliche Ehe.
    ILL Aber bitte.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Komm, Moby, verneig dich. Eigentlich heißt er Pedro, doch macht sich Moby schöner. Es paßt auch besser zu Boby, wie der Kammerdiener heißt. Den hat man schließlich fürs Leben, da müssen sich dann eben die Gatten nach seinem Namen richten.

    Gatte VII verneigt sich.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Ist er nicht nett mit seinem schwarzen Schnurrbart? Denk nach, Moby.

    Gatte VII denkt nach.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Fester.

    Gatte VII denkt fester nach.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Noch fester.
    GATTE VII Aber ich kann nicht mehr fester nachdenken, Mausi, wirklich nicht.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Natürlich kannst du's. Probier's nur.
    Gatte VII denkt noch fester nach.
    Glockenton.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Siehst du, es ging. Nicht wahr, Alfred, so wirkt er fast dämonisch. Wie ein Brasilianer. Das ist aber ein Irrtum. Er ist griechisch-orthodox. Sein Vater war Russe. Ein Pope traute uns. Hochinteressant. Nun will ich mich in Güllen umschauen. Sie betrachtet das Häuschen links mit einem edelsteinbesetzten Lorgnon. Diese Bedürfnisanstalt hat mein Vater errichtet, Moby.
    Gute Arbeit, exakt ausgeführt. Ich saß als Kind stundenlang auf dem Dach und spuckte hinunter.
    Aber nur auf die Männer.
    Im Hintergrund haben sich nun der gemischte Chor und die Jugendgruppe versammelt. Der Lehrer tritt mit Zylinder vor.

    DER LEHRER Gnädige Frau, als Rektor des Güllener Gymnasiums und Liebhaber der edlen Frau Musica sei

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    es mir erlaubt, mit einem schlichten Volkslied aufzuwarten, dargeboten vom gemischten Chor und der Jugendgruppe.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Schießen Sie los, Lehrer, mit Ihrem schlichten Volkslied.
    Der Lehrer nimmt eine Stimmgabel hervor, gibt den Ton an, der gemischte Chor und die Jugendgruppe beginnen feierlich zu singen, doch kommt in diesem Augenblick ein neuer Zug von links. Der Bahnhofsvorstand salutiert. Der Chor muß mit dem Rattern des Zuges kämpfen, der Lehrer verzweifelt, endlich ist der Zug vorbei.

    DER BÜRGERMEISTER untröstlich Die Feuerglocke, sollte doch die Feuerglocke einsetzen!
    CLAIRE ZACHANASSIAN Gut gesungen, Güllener. Besonders der blonde Baß links außen mit dem großen Adamsapfel war eigenartig.
    Durch den gemischten Chor drängt sich ein Polizist, nimmt vor Claire Zachanassian Achtungstellung an.

    DER POLIZIST Polizeiwachtmeister Hahncke, gnädige Frau. Stehe zu Ihrer Verfügung.
    CLAIRE ZACHANASSIAN mustert ihn Danke. Ich will niemanden verhaften. Aber vielleicht wird Güllen Sie nötig haben. Drücken Sie hin und wieder ein Auge zu?
    DER POLIZIST Das schon, gnädige Frau. Wo käme ich in Güllen sonst hin?
    CLAIRE ZACHANASSIAN Schließen Sie lieber beide.
    Der
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