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Der Besuch der alten Dame

Der Besuch der alten Dame

Titel: Der Besuch der alten Dame
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Fliegenpilze, scheue Rehe.
    DER VIERTE Zweiggeflüster, alte Träume .

    Aus dem Hintergrund kommen die zwei kaugummikauenden Monstren, die Sänfte mit Claire
    Zachanassian tragend, neben ihr Ill. Dahinter der Gatte vii und ganz im Hintergrund der Butler, die beiden Blinden an der Hand führend.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Der Konradsweilerwald, Roby und Toby, haltet mal an.
    DIE BEIDEN BLINDEN Anhalten, Roby und Toby, anhalten, Boby und Moby.

    Claire Zachanassian steigt aus der Sänfte, betrachtet den Wald.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Das Herz mit deinem und meinem Namen, Alfred. Fast verblichen und
    auseinandergezogen. Der Baum ist gewachsen, sein Stamm, seine Äste dick geworden wie wir selber.
    Sie geht zu den anderen Bäumen. Eine deutsche Baumgruppe. Ich ging schon lange nicht mehr im Walde meiner Jugend, stampfte schon lange nicht mehr durch Laub, durch violetten Efeu. Spaziert nun etwas hinter die Büsche, mit eurer Sänfte, ihr Kaugummikauer, ich mag eure Visagen nicht immer sehen. Und du, Moby, wandere nach rechts gegen den Bach zu deinen Fischen.

    Die zwei Monstren mit der Sänfte links ab. Gatte vri nach rechts, Claire Zachanassian setzt sich auf die Bank.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Schau mal, ein Reh.
    Der Dritte springt davon.
    ILL Schonzeit. Er setzt sich zu ihr.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Auf diesem Findling küßten wir uns. Vor mehr als fünfundvierzig Jahren. Wir liebten uns unter diesen Sträuchern, unter dieser Buche, zwischen Fliegenpilzen im Moos. Ich war siebzehn und du noch nicht zwanzig. Dann hast du Mathilde Blumhard geheiratet mit ihrem
    Kleinwarenladen und ich den alten Zachanassian mit seinen Milliarden aus Armenien. Er fand mich in einem Hamburger Bordell. Meine roten Haare lockten ihn an, den alten, goldenen Maikäfer.
    ILL Klara!
    CLAIRE ZACHANASSIAN Eine Henry Clay, Boby.
    DIE BEIDEN BLINDEN Eine Henry Clay, eine Henry Clay.

    Der Butler kommt aus dem Hintergrund, reicht ihr eine Zigarre, gibt ihr Feuer.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Ich schätze Zigarren. Eigentlich sollte ich jene meines Mannes rauchen, aber ich traue ihnen nicht.
    ILL Dir zuliebe habe ich Mathilde Blumhard geheiratet.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Sie hatte Geld.
    ILL Du warst jung und schön. Dir gehörte die Zukunft. Ich wollte dein Glück. Da mußte ich auf das meine verzichten.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Nun ist die Zukunft gekommen.

    13
    ILL Wärest du hier geblieben, wärest du ebenso ruiniert wie ich.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Du bist ruiniert?
    ILL Ein verkrachter Krämer in einem verkrachten Städtchen.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Nun habe i c h Geld.
    ILL Ich lebe in einer Hölle, seit du von mir gegangen bist.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Und ich bin die Hölle geworden.
    ILL Ich schlage mich mit meiner Familie herum, die mir jeden Tag die Armut vorhält.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Mathildchen machte dich nicht glücklich?
    ILL Hauptsache, daß du glücklich bist.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Deine Kinder?
    ILL Ohne Sinn für Ideale.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Der wird ihnen schon aufgehen.

    Er schweigt. Die beiden starren in den Wald ihrer Jugend.

    ILL Ich führe ein lächerliches Leben. Nicht einmal recht aus dem Städtchen bin ich gekommen. Eine Reise nach Berlin und eine ins Tessin, das ist alles.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Wozu auch. Ich kenne die Welt.
    ILL Weil du immer reisen konntest.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Weil sie mir gehört.

    Er schweigt, und sie raucht.

    ILL Nun wird sich alles ändern.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Gewiß.
    ILL lauernd Du wirst uns helfen?
    CLAIRE ZACHANASSIAN Ich lasse das Städtchen meiner Jugend nicht im Stich.
    ILL Wir haben Millionen nötig.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Wenig.
    ILL begeistert Wildkätzchen! Er schlägt ihr gerührt auf ihren linken Schenkel und zieht die Hand schmerzerfüllt zurück.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Das schmerzt. Du hast auf ein Scharnier meiner Prothese geschlagen.
    Der Erste zieht aus der Hosentasche eine alte Tabakpfeife hervor und einen rostigen Hausschlüssel, klopft mit dem Schlüssel auf die Pfeife.

    CLAIRE ZACHANASSIAN Ein Specht.
    ILL Es ist wie einst, wie wir jung waren und kühn, da wir in den Konradsweilerwald gingen, in den Tagen unserer Liebe. Die Sonne hoch über den Tannen, eine helle Scheibe. Ferne Wolkenzüge und das Rufen des Kuckucks irgendwo in der Wurzelwildnis.
    DER VIERTE Kuckuck! Kuckuck!
    ILL befühlt den Ersten Kühles Holz und Wind in den Zweigen, ein Rauschen, wie die Brandung des Meeres. Wie einst, alles wie einst.
    Die drei, die Bäume markieren, blasen, bewegen die Arme auf und ab.

    ILL Wäre doch die Zeit
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